Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Dr. Heinrich Avenarius-Herborn: Chemiker, Fabrikant, Ehrenbürger (1873-1955)

Peter Josef Heinrich Herborn wurde am 2. September 1873 in Berlin geboren, als 8. Kind (von denen vier das Säuglingsalter überlebten) des Joseph Herborn (1815-1875) zuletzt Baumeister von Eisenbahnlinien im Süden von Berlin und der Ruperta Mäckler (1834-1922), 4. von sechs Kindern des Bauunternehmers Anton Mäckler und ältere Schwester der Angelika Mäckler (1839- 1910), Ehefrau des Firmengründers und späteren Kommerzienrates Richard Avenarius (1840-1917).

Nach dem Tod des Joseph Herborn siedelte die Witwe Ruperta mit ihren vier Kindern 1875 um nach Wiesbaden. Dort ging Heinrich Herborn von 1879 bis 1883 in die Vorbereitungsschule mit in der Regel jeweils mehr als 40 Kindern je Klasse und anschließend bis 1892 in das Königliche Gymnasium. Am 8. April 1888, wie damals üblich im Alter von 14 Jahren, ging er zur 1. Heiligen Kommunion. Nach dem Abitur studierte er Technologie, Chemie, Physik, Mineralogie und Philosophie zunächst vier Semester an der Technischen Akademie in Stuttgart, gefolgt von vier Semestern an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, wo er 1896 im Alter von 23 Jahren mit einer Arbeit über „Synthetische Versuche mit Rhamnosell“ „cum laude“ zum „philosophiae doctor et artium liberalium magister“ promoviert wurde bei Emil Fischer, der 1902 den Nobelpreis erhielt für seine bahnbrechenden Arbeiten über Zuckerarten.

Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in London begann Heinrich Herborn 1898 seine Tätigkeit als Chemiker im Labor der Firma seines Onkels Richard Avenarius, der Gebr. Avenarius in Gau-Algesheim.

Am 11. Mai 1901 heiratete Heinrich Herborn im Dom zu Köln Claire Forell (1874-1950), 2. von 4 Kindern des Kölner Kaufmanns Eugen Forell (1833-1889) und der Christiane Schramm (1847-1935) aus Essen. Das junge Paar wohnte in Gau-Algesheim zunächst in der Ockenheimer Straße 46 und ab 1907 in dem neu errichteten Haus Mainzer Straße 9. Sie bekamen drei Kinder: Mathilde (1902), Heinz (1904) und Margret (1911).

1911 wurde Heinrich Herborn Gesellschafter der Firma Gebr. Avenarius. 1914 wurde er adoptiert vom Firmeninhaber, seinem Onkel Richard Avenarius, der durch den frühen Tod seines einzigen Kindes Albert im Jahr 1879 kinderlos geworden war. Nach dessen Tod 1917 war (nunmehr:) Dr. Heinrich Avenarius-Herborn zunächst Alleininhaber der Firma Gebr. Avenarius und zusammen mit Paul Lechler in Stuttgart Teilhaber der Firma R. Avenarius & Co, bis 1923 sein Neffe Dr. Richard Avenarius (1894-1975), der Sohn seiner älteren Schwester Anna Herborn (1865-1942) und des Ernst Avenarius (1857-1922) aus Koblenz, einem Vetter des Firmengründers Richard Avenarius in Gau-Algesheim, als weiterer Gesellschafter in die Firma Gebr. Avenarius eintrat.

Während des Ersten Weltkrieges lebte die Familie des Dr. Heinrich Avenarius-Herborn in Mainz, wo er als Landwehr-Hauptmann reaktiviert war als die dortige Garnison an der Front stand. Von Sommer 1923 bis Ende 1924 lebte die Familie in Darmstadt, durch die seit 1919 links des Rheines herrschenden Franzosen ausgewiesen, wie viele andere Industrielle auch, wegen des Vorwurfs angeblicher Sympathie mit dem Passiven Widerstand gegen die französische Besetzung insbesondere des Ruhrgebiets. In dieser Zeit der Ausweisung war die Fabrik in Gau-Algesheim fast stillgelegt. Von 1924 bis zu seinem Tod am 6. September 1955 lebte Dr. Heinrich Avenarius-Herborn wieder in Gau-Algesheim, bis 1945 in der Mainzer Straße 9, nach der Beschlagnahme seines Hauses durch die Franzosen im Verwalterhaus der Avenarius'schen Gutsverwaltung in der Ingelheimer Straße 22 bis 1953 und seine letzten beiden Lebensjahre in der Mainzer Straße 7.

Der Bezug zu Gau-Algesheim

Dieser ergibt sich für Dr. Heinrich Avenarius-Herborn durch die Aktivitäten der Firmen Gebr. Avenarius und R. Avenarius & Co am Standort Gau-Algesheim. Dadurch wurde u.a. auch der technische Fortschritt zugunsten der Stadt gefördert. Auf Anregung des jungen Laborchemikers wurde noch vor der Jahrhundertwende vom Gaswerk Ingelheim eine Zuleitung nach Gau-Algesheim gelegt. Von 1909 bis 1921 lieferte das neue Kraftwerk der Firma Gebr. Avenarius zugleich auch Strom für die Stadt Gau-Algesheim. Die Gutsverwaltung des Richard Avenarius in der Ingelheimer Straße (später dann: Baustoffhandel Georg Presser) war bis 1918 mit ihren Frühjahrs-Weinversteigerungen richtunggebend im Binger Raum. Für Belegschaftsmitglieder wurde zu Beginn des Jahrhunderts in der Ingelheimer Straße eine Reihe firmeneigener Wohnhäuser gebaut, die Mitte der 50er Jahre an die damaligen Bewohner verkauft wurden. Mit der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Gau-Algesheim, geführt durch Dr. Heinrich Avenarius-Herborn und Josef Feser, konnten preisgünstig zehn Wohnhäuser errichtet werden, u.a. in der oberen Hälfte der Herr-born-Straße. Die Zahl der Belegschaftsmitglieder der Avenarius-Firmen in Gau-Algesheim stieg von 50 im Jahre 1900 über 70 im Jahr 1914 auf 100 im Jahr des 75. Firmen-Jubiläums 1944; zehn Jahre später waren es 80 Personen.

Bedeutung für Gau-Algesheim

Die von den Avenarius-Firmen hergestellten und vertriebenen Produkte haben dazu beigetragen, den Namen der Stadt Gau-Algesheim weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Das begann 1876 mit dem anstrichfähigen Holzschutzmittel mit der Bezeichnung Carbolineum (Näheres siehe Band 31 der Veröffentlichungen der Carl-Brilmayer-Gesellschaft von 1992) sowie durch die in Verbindung mit dem Erfolg dieses Produktes gegründeten Zweigwerke in Berlin, in Amstetten bei Wien und in St. Petersburg. Prospekte über das Avenarius-Carbolineum erschienen in 15 Sprachen. Der 1926 anläßlich des 50jährigen Bestehens des Avenarius-Carbolineum herausgebrachte Jubiläumsprospekt wurde in einer Auflage von 15.000 Exemplaren in spanischer Sprache verbreitet, vorrangig in Mittel- und Südamerika. Diese Werbung auch für Gau-Algesheim setzte sich fort mit dem Erfolg weiterer Schutzmittel für Pflanzen, Gebäude und Gebrauchsgegenstände, darunter ein flüssiges Metallputzmittel mit der Markenbezeichnung GAGA, der Abkürzung für Gebr. Avenarius Gau-Algesheim. Die Kernbotschaft all dieser Mittel stand im Firmenemblem auf allen Produktmarken: „Wo immer ich hinkomme, nütz' ich, und was ich erreiche, das schütz ich“. Mit entscheidend beigetragen zum guten Ruf dieser Schutzmittel aus Gau-Algesheim hat das um die Jahrhundertwende auf den Markt gekommene Avenarius-Obstbaum-Carbolineum, an dessen Entwicklung und Erfolg Dr. Heinrich Herborn bereits mitgearbeitet hat. Als sog. Winterspritzmittel hat es der Gefahr von durch Schädlingsbefall verursachter Mißernten erfolgreich vorbeugen helfen. Dieses Mittel war jahrzehntelang das zweitwichtigste Erzeugnis neben dem Holzschutzmittel Carbolineum. Dr. Heinrich Herborn war folgerichtig Mitbegründer der 1912 gebildeten „Vereinigung deutscher Fabriken von Pflanzenschutzmitteln“, viele Jahre deren stellvertretender Vorsitzer und von 1926 bis 1930 deren Vorsitzer. Der aus Anlaß des 75jährigen Bestehens dieser Vereinigung geschriebenen Chronik ist zu entnehmen, daß mit Beginn der Bewirtschaftung seit der Zeit des 1. Weltkrieges und der Folgezeit bis in die 50er Jahre wegen der durch diese Vereinigung vermittelten Rohstoffzuteilungen nahezu alle Pflanzenschutzmittel herstellenden Fabriken Deutschlands dieser Vereinigung angehörten, darunter klangvolle Namen wie Bayer, Hoechst, Merck, Schering. Dabei haben die Firmen Avenarius an den Produktions-Standorten Gau-Algesheim und später Stuttgart wegen des Erfolgs ihrer Produkte am Markt - der Menge nach - häufig mit die besten Zuteilungen erhalten. Das ermöglichte in kritischen Zeiten dann auch Weitergeben - insbesondere von Kohle - an für die Lebensversorgung der Einwohner wichtige Betriebe und Einrichtungen in der Stadt Gau-Algesheim. Auch das mag wohl berücksichtigt worden sein bei der seitens der Stadt Gau-Algesheim ausgesprochenen Ehrenbürgerwürde für Dr. Heinrich Avenarius-Herborn im Jahr 1955, ein halbes Jahr vor seinem Tod.

Später dann wurden seitens der Stadt nach den Ehrenbürgern Straßennamen vergeben, so u.a. auch die Dr. Avenarius-Herborn-Straße südlich des Geländes der damaligen Firmen (von West nach Ost): Ave-narius'sche Gutsverwaltung, der R. Avenarius & Co und der Gebr. Avenarius. (Arnold Avenarius-Herborn, Lesebuch, 1999, 184-187)

RPPDnd: Dr. Heinrich Avenarius-Herborn