Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Der 30-jährige Krieg 1618-1648

Verwaltung und militärische Organisation vor 1618

Gau-Algesheim gehörte im 17. Jh. dem Mainzer Kurstaat an. Die rheinhessischen Ämter Olm und Algesheim, Bingen, der Rheingau und Streubesitz im Taunus sowie der ehemals Lorscher Besitz an der Bergstraße bildeten zusammen mit Mainz das sogenannte Unterstift; hinzu kamen das Oberstift an Main und Tauber zwischen Aschaffenburg und Tauberbischofsheim sowie das Eichsfeld im nord-westlichen Thüringen.

Zum Amt Algesheim zählten die Dörfer Büdesheim, Dietersheim, Dromersheim, Gau-Bickelheim, Gaulsheim und Ockenheim; es unterstand einem adligen Amtmann, der in der Algesheimer Burg residierte. Nach dem Bauernkrieg wurden die Ämter Algesheim und Olm zusammengelegt. Die Verwaltungsgeschäfte in der Amtskellerei Algesheim wurden von einem kurfürstlichen Amtskeller geführt, Sitz des Amtmanns war Nieder-Olm.

Die Verwaltung der Stadt wurde durch den jährlich wechselnden Bürgermeister und den Rat vollzogen. Ein siebenköpfiges Schöffenkollegium bildete das Gericht der Stadt, dessen Vorsitzender, der Schultheiß, auch außergerichtliche Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen hatte.

Aufgrund der kurmainzischen Ausschußorganisation mußten auch der Keller und Amtmann des Amtes Algesheim Musterungslisten erstellen, die als Grundlage für die militärische Planung des Kurfürsten dienten. Bereits 1554 fand in allen kurmainzischen Ämtern, so auch in Gau-Algesheim, eine Musterung statt. Die militärische Leitung eines Amtes wurde von einem Stab von Befehlshabern wahrgenommen, der mit einem jährlichen Salär bedacht wurde. In Gau-Algesheim bestand dieser Stab aus einem Landeshauptmann, je einem Leutnant, Fähnrich, Fourier und Führer, mehreren Feldwebeln und Korporalen. Auch die Spielleute (Trommler und Pfeifer) zählten mit den Feldscherern, worunter man die Barbiere zu verstehen hat, zu den Befehlshabern. Für das Amt Algesheim wurde am 28. April 1620 Balthasar Stöckle als Landhauptmann bestallt.

Eine weitere Musterungsliste existiert aus dem Jahr 1609. Dem Landhauptmann Valentin Beckelheim unterstanden aus Gau-Algesheim: fünf Befehlshaber, 51 Musketiere, 24 Lange Spießer mit Rüstung, sieben Schlachtschwerter, 28 Hellebardiere mit Rüstung und auch mit Sturmhüten, 32 Schützen mit einfachen Rohren, fünf Schanzengräber und Zimmerleute, zusammen 152 Mann. Diese hohe Zahl wurde dadurch erreicht, daß sämtliche wehrfähigen Männer der Stadt von 21 bis 80 Jahren gemustert wurden, was auch das hohe Durchschnittsalter von 44 Jahren erklärt. Wie die Musterungsliste zeigt, war die Bewaffnung nur sehr unzulänglich, da die Untertanen des Kurfürsten selbst für die Bewaffnung zu sorgen hatten. Vier Söldner verfügten schon über militärische Erfahrung, denn sie hatten, wie in der Liste verzeichnet ist, in den Niederlanden für die Spanier bzw. in Ungarn und Frankreich als Soldaten gedient.

Unter Kurfürst Johann Schweikhardt von Kronberg erfolgte etwa seit 1607 eine Verbesserung des Landausschußwesens, dessen wichtigste Neuerung in der Beschränkung der Heranziehung der Untertanen zum Ausschuß auf eine bestimmte Altersgruppe war. Diese Neuerung hatte sich bis zur Musterung der Gau-Algesheimer Bürger im Jahre 1631 durchgesetzt, so daß nur noch 95 Söldner gemustert wurden.

Eine weitere Neuerung war die Zusammenfassung von sechs Soldaten zu einer Rotte unter einem Rott-meister, die wiederum in Korporalschaften zusammengefaßt wurden, so daß jederzeit ein geordneter Marsch, eine Übung oder ein Gefecht möglich waren.

Bevölkerungs- und Besitzverhältnisse im Jahr 1618

Ein Verzeichnis der Bürger sowie deren Haus- und Grundbesitz aus dem Jahr 1618 verhilft zu einem guten Bild der Gau-Algesheimer Bevölkerungs- und Besitzverhältnisse kurze Zeit vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. 1618 wurden 178 „Herdstätten“ in insgesamt 165 Häusern verzeichnet, bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 650 bis 700 Einwohnern. Davon sind 602 als Bürger oder deren Angehörige verzeichnet, lediglich besitzlose Pächter, Knechte, Mägde, Handwerksgesellen und dergleichen wurden nicht aufgeführt. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung kann aber als niedrig angesehen werden, da nur fünf Höfe und Güter über größeren Grundbesitz verfügten und auch nur relativ wenige dieser Personengruppen in den Pfarrbüchern erscheinen.

Von den 138 verzeichneten Ehepaaren mit durchschnittlich zwei Kindern wohnten fast alle im eigenen Haus. „Großfamilien“, bei denen drei Generationen zusammen in einem Haus wohnten, waren äußerst selten anzutreffen. Die meist kleinen Bauernhäuser boten kaum mehr Raum als für vier Personen und auch der Grundbesitz reichte meistens nur aus, um eine Familie zu ernähren, so daß eine Heirat fast immer das Verlassen des Elternhauses, oftmals auch der Heimatstadt, erforderlich machte.

Gau-Algesheim bot also zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Bild einer ländlichen Kleinstadt, dessen Bevölkerung sich vor allem durch den Weinbau, aber auch durch Ackerbau und Viehzucht von ihrem zum größten Teil eigenen Grund und Boden ernährte.

Entwicklung der Bevölkerung zwischen 1609 und 1618

Von 107 der unter 50jährigen Söldner, die in der Musterungsliste von 1609 verzeichnet sind, verstarben oder verzogen bis 1618 26%. Dabei ist festzustellen, daß bei der Personengruppe der 21- bis 35-jährigen der Prozentsatz der Verstorbenen oder Verzogenen mit 30% überdurchschnittlich hoch ist, was die schon geäußerte Vermutung bestärkt, daß diese jungen Männer Gau-Algesheim verlassen mußten, da der väterliche Grundbesitz nicht ausreichte, mehrere Familien zu ernähren, und die Stadtmauer eine räumliche Vergrößerung der Stadt verhinderte. Diese Personen verzogen wohl meist in die umliegenden Dörfer und Städte, teilweise fanden sie aber wieder Aufnahme in den Mauern ihrer Heimatstadt.

Diese Zahlen verdeutlichen also, daß die Mobilität und damit Bevölkerungsveränderungen schon in Friedenszeiten, wie hier in einem knappen Jahrzehnt, schon sehr groß waren, was bei Aussagen über die Bevölkerungsentwicklung während des Krieges berücksichtigt werden muß.

Zerstörungen, Menschen- und Substanzverlust durch den Krieg

Eine Auswertung der Besitzstandsanzeige von 1618 und des Personenstandes anhand des Pfarrbuches ergibt, daß etwa 50% der Familien, die 1618 noch in Gau-Algesheim ansässig waren, bis 1649 verschwunden sind. Von den 130 als männliche Kinder verzeichneten Personen sind nur noch 35% am Ende des Dreißigjährigen Krieges in Gau-Algesheim nachweisbar.

Diese Menschenverluste dürften nur in geringem Maße aus unmittelbaren Kriegseinwirkungen resultieren und nur in den allerwenigsten Fällen durch eigentliche Kriegsopfer bedingt sein. Im Kirchenbuch dieser Jahre werden auch nur vier Männer ausdrücklich erwähnt, die bei Kampfhandlungen ums Leben kamen, was darauf hindeutet, daß dies außergewöhnliche Vorkommnisse waren. Die Kriegstoten sind der Ockenheimer Schlosser und Schöffe Anton Reifenscheid (+19.9.1643), der lothringische Soldat und Reiter Darbois de Nanzon (+26.10.1843), der Algesheimer Bürger Theodor Kölsch (+12.3.1646) und ein böhmischer Soldat (+29.4.1644).

Gau-Algesheim wurde erst sehr spät in das unmittelbare Kriegsgeschehen einbezogen. Erst seit der Besetzung durch die Schweden, die wahrscheinlich kurz nach der Besetzung von Mainz (23. Dezember 1631) erfolgte, verschlechterte sich die Lage der Gau-Algesheimer Bevölkerung drastisch. Es fand eine Plünderung statt, nach der am 18. Mai 1632 der noch vorhandene Vorrat festgestellt wurde: 531½ Ohm Wein, 32 Ohm Drusen, 60 Binger Malter Korn und 60 Binger Malter Roggen.

Während der Schwedenherrschaft versuchte Graf Wilhelm Ludwig von Nassau-Weilburg, aufgrund eines alten Präsentationsrechtes die Pfarrei am 6. September 1633 mit dem protestantischen Pfarrer Heinrich Mogk aus Manders in der Grafschaft Waldeck zu besetzen, was aber wohl an der ausschließlich katholischen Bevölkerung scheiterte, so daß ein katholischer Pfarrer auch während der Schwedenzeit die Pfarrei versah.

Weit mehr hatten die zum Amt Algesheim gehörenden Dörfer durch die Schweden zu leiden, wie aus einer Eingabe vom 6. April 1632 hervorgeht, „in der Schultheis und Untertanen des Amtes Algesheim sich beschwerten, daß die Reiter des schwedischen Obersten Landgraf Johann von Hessen-Braubach in den vier zum Amt gehörenden Dörfern Gau-Bickelheim, Dromersheim, Ockenheim und Sulzheim trotz aller Schutzbriefe sie ... an Vieh und allen anderen ihnen noch übrigen Mobilien ausgeplündert und sehr übel getraktiert hatten. Sie könnten deshalb die ihnen auferlegte Kontribution nicht bezahlen und es wäre ihnen unmöglich, länger an den Orten wohnen zu bleiben“.

Die Antwort des schwedischen Kanzlers Oxenstierna auf die Beschwerde, in der der Landgraf angewiesen wird, ...“die Übeltäter exemplarisch zu bestrafen, das Vieh zurückzugeben und die Bewohner zu sichern, daß sie in ihren Häusern verbleiben, die Felder beschicken und zu Diensten des schwedischen Königs die Schuldigkeit leisten können“, verdeutlicht, daß die Übergriffe nicht im Interesse der schwedischen Regierung waren. Es ist deshalb anzunehmen, daß die Stadt Gau-Algesheim ihren Bürgern einen verhältnismäßig größeren Schutz bot, als dies bei den umliegenden Dörfern der Fall war.

Auch schon vor der Besetzung durch die Schweden wurden diese Dörfer von umherziehenden Truppen bedroht. Bergen, das etwa zwei Kilometer von Gau-Algesheim auf dem Laurenziberg liegt, war schon bei der Besetzung der Kurpfalz durch die Spanier nur knapp der völligen Auslöschung entgangen. „Für die einsamen Höfe in Bergen war die Lage eine so traurige, daß die Hofleute mit dem Gedanken umgingen, Äcker und Höfe liegen zu lassen und davonzulaufen“. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges waren zwei Höfe in Bergen abgebrannt, die restlichen Häuser stark beschädigt.

Nach dem Abzug der Schweden im Jahr 1635 verbesserte sich die Lage der Gau-Algesheimer Bevölkerung jedoch kaum. Schlechte Ernten in den Jahren 1635, 1636 und 1637, wie sie für das benachbarte Ober-Ingelheim bekannt sind, trugen dazu bei, daß sich die Pest während dieser Jahre verbreitete. Es existiert jedoch keine Quelle, in der für Gau-Algesheim ein Pestfall belegt wird. Angesichts dieser Tatsache und der, daß 50% aller Gau-Algesheimer Familien den Dreißigjährigen Krieg überlebten, halte ich es für wahrscheinlich, daß Gau-Algesheim während des Krieges zumindest von größeren Pestepidemien verschont wurde, was angesichts des Ausmaßes der Pest, bei der allein im Jahre 1635 in Mainz mindestens 2000 Menschen durch Pest und Hunger starben, als ein äußerst glücklicher Umstand angesehen werden kann.

Dennoch war die Gau-Algesheimer Bevölkerung aufgrund von Hungersnot und Kriegswirren so betroffen, daß keine Unterschiede mehr zwischen „Freund und Feind“ gesehen wurden. Die Besetzung, gleich durch welche Truppen, war mit Plünderungen und Kontributionsforderungen verbunden. Als der Herzog von Lothringen im August 1643 auf kaiserlichen Befehl in die kurmainzischen Gebiete, so auch Gau-Algesheim einzog, war dies mit neuen Schrecken verbunden. Darauf deutet jedenfalls eine Sterbeeintragung im Pfarrbuch hin. Am 19. September 1643 starb Anton Reifenscheid „welcher im lothringischen Einfall daselbsten mit 3 Schüssen getroffen und entleubt worden“.

Im Oktober des gleichen Jahres kam es zu einem Kampf um Gau-Algesheim, in dessen Verlauf am 5. Oktober die Gemeinde acht Pfund Blei an der verbrannten Kirche empfing, aus denen Kugeln gegossen werden sollten; der lothringische Hauptmann Charles Darbois de Nanzon wurde auf der Straße nach Appenheim bei einem Überfall getötet. Bei den Angreifern dürfte es sich um umherziehende Truppen des französisch-weimarischen Heeres gehandelt haben.

Die Not dieser Jahre muß mindestens ähnlich groß gewesen sein wie unter der schwedischen Besatzung, denn im März 1643 mußten die Schöffen einen Kelch und etliche Korallen-Paternoster für 22 Gulden mit Erlaubnis des Pfarrers verkaufen, um die Kriegskontributionen bezahlen zu können.

Im Frühherbst 1644 rückten dann wiederum französische Truppen unter dem Prinzen Conde heran, dem ein Vertrag mit dem Mainzer Domkapitel das erzbischöfliche Land zur militärischen Besetzung preisgab. Wiederum wurde die Bevölkerung durch hohe Kontributionen belastet und erst lange nach dem Westfälischen Frieden zogen die Franzosen im Mai 1650 ab.

Über Gebäudeschäden lassen sich aus Mangel an zuverlässigen Quellen nur sehr bedingte Aussagen machen. Das Rathaus wurde ganz, die katholische Pfarrkirche teilweise von den Schweden niedergebrannt. Der Fund einer steinernen, schwedischen Kanonenkugel in einem alten Baum im Garten des Schlosses Ardeck deutet darauf hin, daß wahrscheinlich bei der Besetzung von Gau-Algesheim durch die Schweden die Stadt beschossen wurde, was sicherlich auch zu Gebäudeschäden führte.

Einzige amtliche Quellen sind die Besitzstandsanzeige von 1618 und eine Häuserliste von 1687, die erste vergleichbare Angaben enthält. Dabei ist innerhalb von 69 Jahren ein Verlust von 18 Häusern, d.h. 11% des Ausgangsbestandes (165 Häuser) von 1618 festzustellen. Es ist wahrscheinlich, daß dieser Verlust auf Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges zurückgeht; wenn man Aufbauarbeiten nach dem Krieg berücksichtigt, sogar noch größer war.

Geburten 1640-1653

Indirekte Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerungsentwicklung lassen sich sehr deutlich am Verlauf der Geburtenzahlen im Zeitraum von 1640 bis 1653 ablesen. Nachdem bis zum Jahr 1643 die Zahl der jährlichen Taufen in Gau-Algesheim bis auf 23 angestiegen war, sank sie bis auf ein Minimum von 4 Taufen im Jahr 1645 ab. Sie stieg im folgenden Jahr bis auf 13 an und stagnierte bis 1648 auf diesem Niveau.

Eine monokausale Erklärung dieser demographischen Vorgänge gibt es sicherlich nicht. Dennoch dürfte die Hauptursache des Rückgangs der Geburten die Besetzung von Gau-Algesheim durch die Franzosen im Frühjahr 1644 sein, was mit zeitlicher Verschiebung im Jahr 1645 zum Geburtenrückgang führte. Diese Erklärung wird durch ein weiteres historisches Ereignis bestärkt: Konnte der Ausschuß der Ämter Olm und Algesheim 1635 nach dem Abzug der Schweden noch vorübergehend in die Stadt Mainz aufgenommen werden, um für eine Verbesserung der Stadtmauer und Aufräumung der Verteidigungseinrichtungen zu sorgen, so konnte dies im Jahr 1644 nicht mehr geschehen, da die Ämter durch den Krieg schon zu sehr gelitten hatten und sich selbst für eine Verteidigung vorbereiten mußten. Auf welche Faktoren im einzelnen der Geburtenrückgang zwischen 1643 und 1645 zurückzuführen ist, läßt sich nur vermuten. Eine geringere Fruchtbarkeit, bedingt durch Hunger und Krankheiten, kann in Betracht gezogen werden. Auswirken konnte sich auch ein Aufschub von Heiraten und die zeitweilige Trennung von Ehepaaren. Beides änderte sich nach Abschluß des Westfälischen Friedens 1648, was zu einem Anstieg der Geburtenrate führte, so daß im Jahre 1650 22 Geburten verzeichnet sind und damit das Geburtenniveau von 1643 wieder erreicht wurde. 1651 ging die Geburtenzahl zwar noch einmal leicht zurück, sie pendelte sich aber 1652-1653 auf 20 ein. Nach 1653 läßt sich die Geburtenentwicklung nicht mehr weiterverfolgen, da das Kirchenbuch dieser Jahre nicht mehr vorhanden ist.

Die saisonspezifischen Variationen in der Anzahl der Konzeptionen und Geburten der Jahre 1640-1653 lassen sich ebenfalls mit Hilfe der Taufeintragungen ermitteln. Dabei ist eine hohe Anzahl von Konzeptionen im Vorsommer, wenige dagegen in den Erntemonaten August und Oktober (Weinlese) feststellen, was zu entsprechend vielen Geburten im Frühling und relativ wenigen im Vorsommer führte. So ist auch die Konzeptions-Baisse im März mit der Aussaat und Weinbergsarbeiten erklärbar, die während der Fasten- und Adventszeit wird ebenso durch den Arbeits-Jahresrhythmus, aber vielleicht auch durch christlich-katholische Traditionen bestimmt. Das Geburtenmaximum im Frühjahr kann nicht nur mit dem Rhythmus des Arbeitsjahres erklärt werden, auch biologische Ursachen kommen hierfür in Frage. Der Dreißigjährige Krieg mit allen seinen Auswirkungen vermochte es also nicht, den durch Natur und Arbeit bestimmten Jahresrhythmus der Gau-Algesheimer Bevölkerung tiefgreifend zu verändern, so daß die Auswirkungen des Krieges aus dieser Blickrichtung als überraschend gering anzusehen sind.

Noch etwas grundsätzliches zu den Heiraten dieser Zeit; wenn man wissen will, wer wen warum geheiratet hat, gibt ein Blick auf die Besitzverhältnisse - die „Sache“ - die wichtigsten Auskünfte. Die romantische Liebe mit Hochzeit ist eine „Erfindung“ der Neuzeit. Scheidungen gab es de facto nicht, aber immer eine Reihe unehelicher Kinder. Die Dauer der Ehe war auch ohne Scheidung auf Grund der großen Sterblichkeit eher kurz, im Durchschnitt etwas unter 14 Jahre.

Die Eheschließung fand im 17. und 18. Jahrhundert bevorzugt am Wochenanfang statt. Trotz aller Gebote der Obrigkeit, die auch verfügte, daß die Trauungen spätestens um 10 Uhr vormittags beginnen mußten (um zu gewährleisten, daß die Hochzeitsgesellschaft noch einigermaßen nüchtern zur Kirche kam), feierte man gerne am Wochenanfang, um dann länger als den festgesetzten einen Tag zu feiern und bis zum nächsten Fastentag genügend Zeit zu haben.

Zuzug von Neusiedlern

Wie bereits erwähnt, verschwanden während des Dreißigjährigen Krieges etwa 50% der Familien mit Kindern, die 1618 noch in Gau-Algesheim ansässig waren. Der Prozentsatz aller verschwundenen Fa-milien mit und ohne Kinder muß etwas höher angenommen werden. Von den 178 verzeichneten Haushalten (1618) sind etwa 108 (60%) bis zum Jahr 1653 aufgelöst worden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Haushalte mitgezählt wurden, die von älteren Personen (Witwen, Witwer, ältere Ehepaare) geführt wurden und somit diese Haushaltsauflösungen sehr oft keine Auswirkungen des Krieges waren.

Es ist deshalb interessant, den Zuzug von Neusiedlern zu untersuchen, um damit festzustellen, inwie-weit diese Bevölkerungsverluste ausgeglichen werden konnten. Hierzu wurden die neu auftretenden Namen in einer Musterungsliste von 1631 und im Pfarrbuch ausgewertet und festgestellt, daß bis 1653 81 Namen und damit etwa gleich viele Familien neu in Gau-Algesheim erscheinen. Der Bevölkerungs-verlust konnte damit nicht völlig ausgeglichen werden, so daß sich die Zahl der Haushalte etwa um 27 (15%) auf 151 verringerte, was damit wohl auch zu einem Bevölkerungsrückgang um den gleichen Prozentsatz führte, so daß am Ende des Dreißigjährigen Krieges Gau-Algesheim etwa 550-600 Einwohner hatte.

Herkunft der Neusiedler

Bei den Herkunftsorten der Neusiedler überwiegen die Orte der näheren rheinhessischen Umgebung. Dabei vor allem die zum Amt Algesheim gehörenden Dörfer Ockenheim, Gau-Bickelheim und Dietersheim, das von den Schweden völlig zerstört wurde. Daneben werden noch Bergen, Badenheim, Gaulsheim, Bingen und Mainz genannt. Ein weiteres Herkunftsgebiet ist der Rheingau, zu dem immer noch enge Verbindungen auch verwandtschaftlicher Art bestanden, so daß Bürger aus Rüdesheim, Winkel und Geisenheim in Gau-Algesheim ansässig wurden. Auffällig enge Verbindungen der Bäckerzunft und wohl auch anderer Zünfte dürfte die Umsiedlung erleichtert haben.

Nur wenige Neusiedler stammen aus weiter entfernten Gegenden, wie Miltenberg, Hennen, Merzenich und Neuß, d. h. aus kurmainzer Gebieten des Oberstifts und rheinabwärts aus dem Niederrheinischen, dem Bergischen und aus der Mark.

Der Einzugsbereich der zuwandernden Bevölkerung beschränkte sich also wie auch schon vor dem Krieg auf das Rhein-Main-Gebiet. Dabei überwiegen Zuwanderer aus ungeschützten Orten, deren Bevölkerung unter Plünderungen, Krankheit und Not zu leiden hatten. Sie fanden in Gau-Algesheim eine neue Heimat, die ihnen in diesen unruhigen Zeiten verhältnismäßig großen Schutz bot.

Resümee

In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, mit teilweise bisher unbenutztem Archivmaterial ein Bild von den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Gau-Algesheimer Bevölkerung zu geben, wobei bedeutungsvolle Kriegsereignisse und berühmte Gestalten des Dreißigjährigen Krieges ausge-spart wurden oder nur als Hintergrund dienen sollten, um diesen Krieg einmal aus einer anderen Per-spektive zu sehen. Das Kurfürstentum Mainz war wegen seiner zentralen Lage „... für alle auf Reichsboden kriegführenden Parteien eine wichtige Schlüssellandschaft“ und war deshalb besonders stark beeinträchtigt.

Der Dreißigjährige Krieg ging auch an Gau-Algesheim nicht spurlos vorbei, die Bevölkerung verringerte sich um etwa 15%, was angesichts der Zerstörungen und Menschenverluste in den umliegenden Gebieten noch als gering bezeichnet werden kann. In Mainz sank durch die schwedische Besatzung die Zahl der Zunftmitglieder von 1240 (Kontributionsliste 1631) auf 668 (1637), was ein Rückgang von 44% bedeutet und auch Schlüsse auf die Gesamtbürgerschaft zuläßt.

Kreuznach und Alzey büßten etwa die Hälfte ihrer Bevölkerung ein. Vor allem aber wurden viele Dörfer verwüstet oder zerstört, wie die Beispiele Bergen bzw. Dietersheim verdeutlichen. Diese Dörfer und Kleinstädte waren wegen der geringen Schutzmöglichkeiten schon durch kleine Kriegshaufen bedroht. Gau-Algesheim war eine Kleinstadt, dennoch blieb ihr ein solches Schicksal erspart.

Die Gebäudeverluste waren mit etwa 11-15% ebenfalls relativ gering. Die Verschonung von größeren Kriegshandlungen, Zerstörungen und Menschenverluste ist darauf zurückzuführen, daß Gau-Algesheim für die kriegführenden Parteien keine allzu große strategische Bedeutung hatte, andererseits die Verteidigungseinrichtungen nicht ausreichend gewesen sein dürften, um kleinere Kriegshaufen abzuwehren.

Erstveröffentlichung des vollständigen Textes: Hellmeister, Gerhard, Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Gau-Algesheimer Bevölkerung, Facharbeit in Geschichte 1981/82, in: Fünf Facharbeiten, Beiträge zur Geschichte des Gau-Algesheimer Raumes, Band 31/1992, Carl-Brilmayer-Gesellschaft Gau-Algesheim.