Wege und Straßen
Die Wege und Straßen als Verbindungen zwischen benachbarten oder weiter entfernten Orten waren wichtig für Handel und Wandel, aber auch als Einnahmequelle in Form von Zoll und Maut, Wege- und Chausseegeld. Was nützlich und einträglich ist, wird nicht selten zum Gegenstand von Streit und Hader. In der Gemarkung von Algesheim grenzten kurmainzische und kurpfälzische Territorien aneinander. Vor allem im 17. und 18. Jahrhunderte zeugen regelmäßiger Streit sowie entsprechende Ausgleichs- und Versöhnungsversuche von einer bewegten Geschichte zwischen Kurmainz (Algesheim) und der Kurpfalz (Ingelheim).
Gassen und Straßen
Das Netz der Straßen und seine Ausdehnung bilden die Entwicklung einer Stadt ab. In den Bezeichnungen der Straßen spiegeln sich seit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit topographische und ökonomische Strukturen, später zunehmend politische und ideologische Motive und Entwicklungen oder der Trend, die Straßennamen in neuen Wohngebieten nach einem einheitlichen Muster vorzunehmen.
Der Stadtplan von Gottfried Mascop, 1577
Der in großem Maßstab gezeichnete Stadtplan aus der Vogelschau (mit dem Titel Algesheim in Grund gelegt) ist wesentlich genauer gezeichnet als die Gemarkungskarte. (...) Insbesondere die kleineren Wohnhäuser sind nur schematisch wiedergegeben. Größere Übereinstimmung mit der Wirklichkeit dürften dagegen die abgebildete Burganlage, die Stadtbefestigung und der umfriedete Kirchenbezirk besitzen, da sie individuelle Züge tragen. Insbesondere die unterschiedlich gezeichneten Mauertürme legen nahe, dass sich Mascop gewissenhaft an die vorgefundenen Bebauungsformen gehalten hat. Der noch erhaltene Graulturm ist im Plan korrekt zylinderförmig mit Kegelhaube gezeichnet. Ebenso kann man die Gassen des Mascopschen Risses noch eindeutig im heutigen Straßennetz identifizieren.
Die Gau-Algesheimer Stadtansicht Mascops mit dem weltzer dreck fluvius (Welzbach) im Vordergund ist ungefähr nach Westen ausgerichtet. Daraus ergibt sich, daß der Standort des Kartographen auf der östlichen Anhöhe des Westerberges zu suchen ist.
Besonders augenfällig hat Gottfried Mascop die Befestigungsanlage wiedergegeben. Sie geht auf die Stadterhebungen von 1332 und 1355 zurück, nach denen die Gau-Algesheimer ermächtigt wurden, ihren Wohnort mit Mauern und Gräben zu umgeben und mit allem, was sie für notwendig erachten, zu rüsten, zu befestigen und zu bebauen. Der Verlauf der Ringmauer läßt sich im derzeitigen Straßenbild gut rekonstruieren. Vom noch erhaltenen Graulturm aus verlief sie entlang der heutigen Wallstraße, Badstube und Grabenstraße, überquerte die Langgasse und führte über die Straße Im Weiher zurück zum Ausgangspunkt. Längs der Mauer verlief ein tiefer, breiter Graben.
In das Stadtinnere konnte man nur durch drei Tore gelangen: durch die Hewerpfort (Heuerpforte) an der Lang gass, von der die wein gass abzweigte, die Kloppfort an der Clop gass und die Newpfort an der heutigen Neugasse.
Außer den drei erwähnten Stadttoren gab es noch einen weiteren Ausgang durch die Stadtmauer, und zwar an der Schlos gass. Er führte durch einen Torturm über eine Zugbrücke in die Burg Ardeck, die von Mascop allerdings Landaw genannt wird. Sie war von zwei Ringmauern und einem breiten Graben umgeben.
Für weitere Straßen finden sich Bezeichnungen im Plan: peters weg (heute: Neugasse), fleßer gass, new gass (heute: Salzgasse), oberste beun, underste beun
Durch die Clop pfort führen der weg nach Bergen und der weg nach Ockenum, durch die Hewerpfort der weg nach Ingelnheim und der weg nach Bingen durch Gawelsum, durch die Newpfort kommt man auf den weg nach Nid. Olm.
Nach: Gottfried Kneib, Stadt und Gemarkung im Atlas des Kartographen Gottfried Mascop, 1577, S. 253-274
Straßen der Stadt. Verläufe und Bezeichnungen
N A M E N
Alte Straßen (bis 1687)
Weingasse
- 1344 Wyngasse
- 1356 Wigasse
- 1577 Wein gass
Neugasse
- 1346 Nuwe Gazzen
- 1577 Peters weg
- 1687 Neygaß, Neuwgaß
- 1687 Kirchgasse
- 1798 rue de nouveau, rue de l'eglise
- 1933 Werner-Best-Straße
- 1945 Neugasse
Marktplatz
- 1347 of dem Marte
- 1348 of dem Marthe
- 1406 Auf dem Mark
- 1687 auf dem Markt, am Markt
- 1887 Marktplatz
Bein
- 1355 In den Bunden
- 1382 An der Bunden
- 1577 Oberste Beün, Underste Beün
- 1687 Beinn, Beynn, underten Bein
- 1914 Untere Bein, Querbein; Obere Bein, Hospitalstraße
- 1933 Adolf-Hitler-Straße (Querbein)
- 1945 Querbein
Kloppgasse
- 1396 nach dem Cloppe
- 1577 Clop gass
- 1687 In der gelobt Gaß, Kloppgaß
- 1905 Vom Marktplatz bis Zöller
- 1914 Vom Marktplatz bis Peter Kaiser/Kirdorf
Langgasse
- 1489 in der langen Gassen
- 1577 Die lang gass
- 1687 Langgaß
- 1690 Hauptgasse
- 1798 rue longue
- 1933 Hindenburgstraße
- 1945 Langgasse
Schloßgasse
- 1577 Schlos gass
- 1687 Kirchgasse
- 1882 Schloßgasse
Flösserstraße
- 1577 Flesers Gass
- 1687 Bleffelgass, Blesselgass, Bläfeldgaß
- 1877 Flössergasse
- 1886 Flösserstraße
Straßen seit dem Ende des 17. Jh.
Antoniusgässchen, auch „Schulgässchen“ (seit 1845)
- 1687 St. Antoniusgaß
- 1798 Antoniusgasse
- 1873 Antoniusgäßchen
Dreimännergasse
- 1687 Dreimänner Gas
- 1887 Kleine Flösserstraße
Kegelplatz
- 1687 Kegelplatz
- 1687 Peterplatz, Peter Curtzen Platz
- 1854 Kegelplatz
- 1933 Horst-Wessel-Platz
- 1945 Kegelplatz
Salzgasse, auch „Postgässchen“ (seit 1883)
- 1687 Salzgaß
- 1857 Salzgasse
Philippsberg
- 1798 Philippsbergh
Wolfsecke
- 1798 Wolfsgasse
- 1886 Wolfsecke
Straßen nach der Niederlegung der Stadtmauer
- 1837 Froschau
- 1848 Teichgasse
- 1857 Bocks- oder Geißenstraße, 1899 Umbenennung in Wallstraße
- 1866 Badstube, nach Badstub (1481, 1577)
- 1866 Grabenstraße, von „of dem Graben“ (1346)
- 1875 Ockenheimer Straße, nach Flur „Am Ockenheimer Weg“ (1302)
- 1886 Herrbornstraße, von „an dem Heyer born“ (1395)
- 1886 Kreuzhof, nach „Creutzhof“ (1577)
- 1890 Ingelheimer Straße
- 1890 Binger Straße
- 1894 Hospitalstraße, unterer Teil bisher zur Oberen Bein
- 1894 Koser-Straße, Peter Koser (1834-1891)
- 1899 Wallstraße: Umbenennung der Bocksgasse
- 1905 Bahnhofstraße, Einweihung der Hessischen Ludwigsbahn 1859
- 1911 Kleine Herrbornstraße, von „an dem Heyer born“ (1395)
Stadtratsbeschluss vom 15. Januar 1914
- Appenheimer Straße, von „uffe Appinheimer wege“ (1302), Umbenennung der Kloppgasse ab Anwesen Peter Kaiser
- Im Winkel, von Flur „Winkel“ (1355), bis dahin Teil der Weingasse
- Auf dem Flachsmarkt, bis dahin Teil der Weingasse
- Bleichgäßchen: "Die Straße von Bechthold bis Kegelplatz"
- Eleonorenstraße, Großherzogin Eleonore von Hessen und bei Rhein (*1871 als Prinzessin von Solms-Hohensolms-Lich; seit 1905 mit Ernst Ludwig verheiratet)
- Ernst-Ludwig-Straße, Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (1868-1937; regiert 1892-1918)
- Gartenfeldstraße: „Von Theobald Hemmes bis nach der Gewann Seesen bis Bahnübergang“
- Kegelstraße: „Die Straße von Lanius bis Kegelplatz“
- Mainzer Straße: Umbenennung der Weinheimer Chaussee
- Schulstraße, Einweihung der Neuen Volksschule an Pfingsten 1910
- Querbein, bisher Teil der Unteren Bein
- Hospitalstraße, bisher Teil der Oberen Bein
Straßenbenennungen 1933 - 1945/47
In der Wahl der Straßennamen 1933 und nach 1945 haben die Gau-Algesheim wenig Phantasie investiert. Die Nazigrößen als Namensgeber gingen 1945 wie sie 1933 gekommen waren.
- 1933 Hindenburg-Straße, Umbenennung der Langgasse
- 1933 Adolf-Hitler-Straße, Umbenennung der Querbein
- 1933 Werner-Best-Straße, Polizeichef in Hessen, SS/SD-Führer, Umbenennung der Neugasse
- 1933 Horst-Wessel-Straße, SA-Mitglied, Umbenennung der Kegelstraße
- 1933 Horst-Wessel-Platz, Umbenennung des Kegelplatzes
- 1933 Sprengerstraße, Jakob Sprenger, Gauleiter und Reichsstatthalter in Hessen, Benennung einer Straße am südlichen Stadtrand zwischen Appenheimer Straße und Kirchstraße
- 1933 Peter-Gemeinder-Straße, hessischer NSDAP-Gauleiter bis 1931, Teil der heutigen Goethestraße
- 1945 Brüning-Straße, Heinrich Brüning, Zentrumspolitiker, Umbenennung der Sprenger-Straße
- 1945 Erich-Klausener-Straße, Führer des Politischen Katholizismus
- 1945 Goethestraße, Johann Wolfgang Goethe, Umbenennung der Peter-Gemeinder-Straße
- 1947 Christian-Erbach-Straße, Umbenennung der Brüningstraße
aus: Gau-Algesheim. Historisches Lesebuch, 1999, S. 332-333
Straßen in den Neubaugebieten des 20. Jh.
Woog/Mühlborn
- 1920 Mühlbornstraße, nach Flur „Mühlborn“ (1842)
- 1920 Woogstraße, nach Flur „Im Woog“ (1842)
- 1960 Wüstenrotstraße, Umbenennung der Unteren Woogstraße
- 1961 Pfarrer-Rudolf-Straße, Joseph R., Pfarrer in Gau-Algesheim (1910-1952), Ehrenbürger
- 1964 An der Layenmühle, von Flur „An der Layenmühle“ (1842)
Jenseits des Welzbaches
- 1922 Alleestraße
- 1922 Schiller-Straße, Dichter Friedrich Schiller (1759-1805)
- 1922 Weihergarten
- 1929 Auf der Bleiche
- 1961 Berliner Straße
- 1961 Dr. Avenarius-Herborn-Straße, Dr. Heinrich A.-H., Fabrikant und Ehrenbürger (1873-1955)
- 1961 Karl-Domdey-Straße, Karl Domdey, Stadtrat, Beigeordneter und Ehrenbürger (1891-1955)
Klopp
- 1927 Kirchstraße, Einweihung der Evangelischen Kirche am 22. Mai 1927
- 1928 Jahnstraße, Friedrich Ludwig Jahn, Politiker und Pädagoge (1778-1852)
- 1933 Sprengerstraße, Jakob Sprenger, Gauleiter und Reichsstatthalter in Hessen
- 1945 Brüning-Straße, Heinrich Brüning, Zentrumspolitiker (1885-1970; RK 1930/32), Umbenennung der Sprenger-Straße
- 1947 Christian-Erbach-Straße, Umbenennung der Brüningstraße
- 1947 Peter-Bischof-Straße, Baumeister Peter Bischof von Algesheim (um 1430 - nach 1480)
Honiggarten
- 1957 Rheinstraße
- 1960 Im Honiggarten, von Flur „in dem Honiggarten“ (1401)
- 1964 Am Heutor, von „hewer pfort“ (1577), südlicher Teil der Binger Straße nach Schließung der Bahnschranke am Bahnhof
„Musiker-Viertel“
- 1964 Beethovenstraße, Komponist Ludwig van Beethoven (1770-1827)
- 1964 Franz-Schubert-Straße, Komponist Franz Schubert (1797-1828)
- 1964 Gutenbergstraße, Erfinder des Buchdrucks Johannes Gutenberg (um 1397), am 3. Februar 1468 im Algesheimer Hof zu Mainz gestorben
- 1964 Richard-Wagner-Straße, Komponist Richard Wagner (1813-1883)
- 1964 Mozartstraße, Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
„Im Brühl“
- 1964 Bergstraße, von Flur„Bergstrazen“ (1316), alte Bezeichnung für Weg zum Westerberg
- 1964 Im Brühl, von „Im Bröhl“ (1347), Wiesen des Salhofes
- 1964 Kaiser-Karl-Straße, Karl IV. (1316-1378)
- 1964 Kreuzweg, von Flur „unter dem phade gein dem hailcrucze“ (1392)
- 1969 Am Welzbach, von „Weltzer dreck fluvius“ (1577)
„Westerberg“
- 1973 Am Goldberg, von Flur„Goldberg“ (1842)
- 1973 Im Bangert, von Flur „in dem Bangarten“ (1360)
- 1973 Im Hasensprung, von Flur „Haasensprung“ (1842/43)
- 1973 Im Herzenacker, von Flur „im Herzenacker“ (1842/43)
- 1973 Im Hippel, von Flur „im Hippel“ (1842/43)
- Im Weiher, Verlauf der Stadtmauer von der Bleiche bis zur Langgasse
- 1980 In der Stolzwiese, von Flur „in der Stolzenwies“ (1842)
„Blätterweg“
- 1986 Caprino-Veronese-Straße, Partnerstadt in der Provinz Verona
- 1986 Im Blätterweg, von Flur „an dem Bletterwege“ (1347)
- 1986 Johann-Jakob-Hauer-Straße, Maler aus Gau-Algesheim (1751-1829)
- 1986 Saulieu-Straße, Partnerstadt im Département Côte d'Or
- 1986 Zum Stolzenberg, nach Flur „of stoltzenberge" (1348)
Gewerbegebiet
- 1970 Max-Planck-Straße, Physiker Max Planck (1858-1947)
- 1997 Albert-Einstein-Straße, Physiker Albert Einstein (1879-1955)
- 1997 Lise-Meitner-Straße, Physikerin Lise Meitner (1878-1968)
- 1997 Marie-Curie-Straße, Chemikerin Marie Curie (1867-1934)
- 1997 Robert-Koch-Straße, Bakteriologe Robert Koch (1843-1910)
- 2006 Otto-Hahn-Straße, Chemiker Otto Hahn (1879-1968)
Neue Straßen
- 2004 Neudietendorfer Straße (Partnerstadt in Thüringen)
- 2004 Stotternheimer Straße (Partnerstadt in Thüringen)
- 2008 In der Sandkaut, von Flur "an der Sandgruben" (1381)
- 2008 Im Steinert, von Flur "uf dem Steinehe" (1344)
- 2008 Am Breiten Weg (ehemalige Appenheimer Chaussee)
- 2012 Raiffeisenstraße, Sozialreformer Friedrich W. Raiffeisen (1818-1888)
2012 Wohnplatz-Bezeichnungen
- Posten 18, (Haus an der Bahnstrecke von Gau-Algesheim nach Gaulsheim)
- Haus am Frohnpfad (Brauser)
- Jägerhof (in der Verlängerung der Saulieu-Straße)
- An der Appenheimer Straße (Weingut Bernd)
- Außerhalb 21 (Anwesen Dieter Kölsch)
- Außerhalb 24 (Anwesen Ingrid Mayer, vormals Bollers Mühl)
Quelle: Gondolf, Werner, Die Flurnamen der Gemarkung Gau-Algesheim, in: Brück, 600 Jahre Stadt Gau-Algesheim, 1955, S. 152-211.