Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Das Algesheimer Wunderbild

Der (strittige) Sachverhalt

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts verbanden sich mit der Verehrung einer Marienstatue im Heiligenhäuschen am Heuertor Nachrichten und Gerüchte von heilsamen Wirkungen bei Menschen, die unter mancherlei Gebrechen litten oder gelitten hatten.

Solche Heiligenhäuschen befanden sich an allen Pforten, die in die Stadt oder aus ihr heraus führten: im Süden an der Klopp-Pforte, im Osten an der Neupforte und im Norden an der Heuerpforte.

Die Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten dieser Zeit schwankten im Kontext einschneidender gesellschaftlicher Veränderungen (1776, 1789) zwischen Reaktion und aufgeklärtem Absolutismus, der schließlich auch eine Kirchenreform und neue "Policey"-Gesetze anstieß. Diese zielten z. B. auf die Abschaffung überkommener Zeremonien, die Einschränkung von Prozessionen und Wallfahrten ("religionspoliceyliche Regulierung"), die Abschaffung von Feiertagen oder die Einführung eines neuen Gesangbuches.

Vor allem das neue Gesangbuch, die vierte Auflage eines „Meß- und Vesperbüchleins“, das schon 1778 bei der Häfnerschen Buchhandlung, Mainz und Frankfurt, unter dem Titel "Neues christ-katholisches Gesang- und Gebetbuch für die Mainzer Erzdiözese“ erschienen war, löste in den Jahren 1787/89 in Teilen der Erzdiözese, vor allem im Algesheimer Landkapitel und im Rheingau, Empörung und Widerstand aus, so dass der Erzbischof sogar den Einsatz der bewaffneten Macht erwog. Bereits im Sommer 1787 hatte die Mainzer Regierung ein Militärkommando mit einem Major, 300 Soldaten, 7 berittenen Husaren und 2 Kanonen nach Rüdesheim in Marsch gesetzt. Noch mehr als 20 Jahre später mahnte der Gesangbuchstreit die geistliche Obrigkeit in Mainz zur Zurückhaltung bei Reformen.

In Algesheim fiel dieser Streit mit der Auseinandersetzung um die Madonnenstatue zusammen.

Als kontrovers in der Auseinandersetzung um das Wunderbild dürfen folgende Fragen gelten:

  • Handelt es sich tatsächlich um Heilungen von vorausgegangenen Gebrechen oder Krankheiten, die gläubige Christen als Wunder bezeichnen dürfen?
  • Ist das Verhalten der einheimischen Bevölkerung, die sich hinsichtlich der Verehrung der Marienstatue den Weisungen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit die Gefolgschaft verweigerte, eher als störrisch, von barocker Volksfrömmigkeit, glaubensfest oder als revolutionär zu bezeichnen?

 

Aus dem Rheinhessischen Heimatbuch von 1921

Herausgeber der Reihe "Hessische Volksbücher" war der Theologe, Kirchentagspräsident, Kirchenhistoriker und Landtagsabgeordneter der DNVP Wilhelm Diehl (1871-1944).


Blaus Verständnis von Religion und Gottesdienst


Blaus Resümee zum Algesheimer Wunderbild


100 Jahre später ...

... ist  "Volksfrömmigkeit" noch einmal Thema im Kulturkampf


Die Mainzer Kirche im späten 19. Jahrhundet

Der Mainzer Kirchenhistoriker Friedhelm Jürgensmeier zitiert zur Charakterisierung der Mainzer Kirche im ausgehenden 19. Jh. den Prälaten und Mainzer Ehrenbürger Adam B. Gottron: "Geringschätzung der profanen Wissenschaft, Angst vor der Wissenschaft, ungesunde Vorliebe für das vermeintlich Übernatürliche, übertriebener Konservativismus und falsche Pietät, einseitige Liebe für streitbare Apologetik" (Das Bistum Mainz, 2. Aufl. 1989, S. 304)