Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Heinrich Hattemer: Ein (rhein-)hessischer Demokrat im schweizer Exil

Heinrich Hattemer (* 3. Juli 1809 in Mainz; † 11. November 1849 in Biel/Bienne) war ein Sprach- und Literaturwissen-schaftler, der sich aktiv an der Revolution von 1848/49 in der Schweiz und in Baden beteiligte.

Heinrich Hattemer war der Sohn von Jakob Hattemer, der am 11. Dezember 1781 in Gau-Algesheim geboren wurde und 1814 in Mainz starb, und von Klara Josepha geb. Haas, die als Kind von Hattenheim im Rheingau nach Mainz gekommen war und 1836 starb.

Während seines Studiums in Gießen (WS 1829/30 - SS 1832) wurde Hattemer 1830 Mitglied der Alten Gießener Burschenschaft Germania und kam deshalb ins „Alphabetische Verzeichnis derjenigen Personen, gegen welche nach den Acten der Centralbehörde bezüglich revolutionärer Umtriebe im Untersuchungswege eingeschritten worden ist." Nach dem Studium der Philologie in Gießen, der Landesuniversität des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, bei Friedrich Gotthilf Osann und Friedrich Jakob Schmitthenner wurde Hattemer Hauslehrer, dann Professor an dem von Julius Friedrich Karl Dilthey geleiteten altsprachlichen Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt. "Des politischen und religiösen Freisinns verdächtigt" (Ludwig Tobler) begab er sich mit seinen Geschwistern Matthias und Therese 1836 nach dem Tod der Mutter in die Schweiz.

Die weiteren Lebensstationen: Professor des Deutschen und Lateinischen an der Kantonsschule in St. Gallen, 1842 -1848 Lehrer des Lateinischen am Progymnasium in Biel, 1848 Mitarbeit an einer Zeitung deutscher Flüchtlinge in der Schweiz, Verweisung für ein halbes Jahr aus dem Kanton Bern wegen Verletzung der schweizerischen Neutralität, Teilnahme am Kampf um die badische Republik als Stabssekretär in der Volkswehr von Johann Philipp Becker, der zwei Jahre nach Hattemer ebenfalls in die Schweiz übergesiedelt war. Nach dem Misslingen der badischen Revolution kehrte Hattemer nach Biel zurück, wo er 1849 starb.

Rede eines „Teutschen Republikaners“ in der Fremde an seine Landsleute in der Heimath (1848)

Mitbürger! Müde des legalen Weges, auf dem unter Fürsten nichts zu erlangen, habt Ihr den Weg der Revolution betreten und mit der Faust Euer gutes Recht bewiesen! Was Ihr gewollt, Mitbürger, das ist mit einem Worte „die Republik“! Das Wort ist Euch vielleicht neu? Denn Eure Fürsten haben es Euch nicht gelehrt, und Eure Hofräthe auch nicht. Ohne Republik keine Freiheit!

Ich habe gesagt, daß Euch Eure Hofräthe die Republik nicht gelehrt. Sie haben noch Schlimmeres gethan, sie haben Euch belogen! Mitbürger! Es sind Leute unter Euch, die vor dem Namen Republik erschrecken. Die Guillotine ist nicht die Republik! Schauet nach der Schweiz. Schauet nach den freien Staaten des nördlichen Amerikas. Die Republik des jungen Frankreich hat die Todesstrafe in politischen Dingen abgeschafft. Haben Eure Fürsten es auch gethan? Jetzt freilich zittern sie vor Euch. Laßt aber die Zeit der Furcht vorübergehen; die Angst, die Ihr ihnen gemacht, werdet Ihr mit Eurem Blute zahlen müssen.

Freiheit oder Sklaverei

Ohne Republik keine Freiheit! Ihr habt für die Freiheit, Gleichheit, Bruderthum Euch erhoben. Wißt Ihr, was das ist? Das ist die Republik! Das ist der freie Staat, wo kein Fürst mit Adel und Bajonetten das Recht schweigen und die Klage verstummen macht. Für die Republik habt Ihr geblutet! Und jetzt kommen Leute, Hofräthe, Professoren und junge Minister und nehmen Euch das Wort vor dem Munde weg und lügen in die Welt hinaus und Euch ins Angesicht: „Ihr wolltet die Republik nicht!“ Soll die Welt Euch glauben, so bringt an die Abstimmung des Volkes die Frage: Ob Republik oder Monarchie? Ob Freiheit oder Sklaverei?

Ihr sollt fortan, Mitbürger, angeblich der Freiheit dienen, daneben verlangen sie aber, daß Ihr das Goldene Kalb anbetet! Wie einst in der Wüste Mose auf dem Berge stand, und sein Volk zu Gott und der Freiheit rief; in der Tiefe aber alle Götzendiener das Goldene Kalb bauten und die Menge zu seinem Dienste verführten: so und nicht anders, geliebte Mitbürger, stehen Eure Propheten auf der Zinne des Berges, freuen sich des goldenen Scheines seliger Freiheit und rufen Euch zur Verehrung des wahren Gottes, in der Tiefe aber ziehen die alten Götzendiener morsche Thronen hervor, vergolden ein Kalb und setzen es Euch zur Verehrung darauf. Freiheit und Fürst, Wasser und Feuer, Himmel und Erde, Gut und Bös, sie gehen nicht zusammen. Als der Märzendonner am teutschen Himmel hinzog, als die Wolken krachend barst und zerschmetternde Blitze niederfuhren, da riefen in der Angst ihres Herzens Fürst und Fürstenknechte: „Gnade! Frei sei fortan das Volk!“

Nun sollt Ihr frei sein, aber Eure Herren behalten! Mitbürger, sie lügen Euch an. Ihr sollt frei sein, sagen sie, aber daneben müßt Ihr Menschen dienen, Menschen verehren, die Ihr verachtet, die Ihr haßt. Es ist ihnen offenbar nicht um die Freiheit sondern um das Goldene Kalb zu thun! Die Fürsten haben die Wehrmänner des Landes zu Schergen ihres Eigenwillens, sie haben unsere Brüder zu unsern Schlächtern gemacht. Um nur Eins besonders zu erwähnen, du, Bruder aus Churhessen, sollst einem Mann fürstliche Ehre und Respekt erweisen, dem du ins Angesicht gesagt, daß du ihm nicht traust, daß er sein Wort nicht halte, daß er ein Hundsfott sei! Fühlst Du die Schmach freier teutscher Mann, die Dir die Hofräthe zumuthen?

Die Herren Hofräthe

Mitbürger! Es ist possierlich anzusehen, wie sich Eure Hofräthe anstrengen Euch die konstitutionelle Monarchie plausibel zu machen. In allen Tonarten preisen sie Euch die Verfassung und die Freiheit Englands. Woher die schnelle Erkenntnis? Wir danken euch, kurz und gut, für England Herrlichkeit mit Alongeperücken.

Daß ihr Herrn Hofräthe als Lords in der Welt herumkutschieren möchtet, daran zweifeln wir nicht. Aber für diesmal machen wir die Verfassung Teutschlands und nicht ihr! Wir wollen die Republik!

Unsere Hofräthe verstehen sich aufs Parlamentieren. Wird eine Kapitulation verworfen, ziehen sie eine andere aus der Tasche. Eigentlich ist es immer dasselbe faule Ei, nur anders und schöner gefärbt. Sie versprechen Euch eine republikanische Monarchie. Ihr dankt ihnen auch noch dafür, für diese republikanische Monarchie. Das Experiment einer solchen Monarchie haben die Franzosen mit Ludwig Philipp gemacht, und haben bei Gott satt daran gekriegt. Dieser republikanische König ist jetzt wohlfeil zu haben; wenn Ihr Lust habt, das gäbe so einen teutschen Kaiser!

Handelt es sich darum Euch die Republik aufzuschwatzen, so sind Eure Hofräthe wirklich unerschöpflich. Können sie Euch die Republik nicht schwarz malen, noch eine republikanische Monarchie in den Kopf reden, lassen sie zu guter Letzt auch noch der Republik die gebührende Ehre widerfahren, packen aber Euch dafür. Die Republik, sagen sie, wäre schon gut, aber das Volk wäre nicht reif dafür! Habt ihr Herrn Hofräthe noch keinen eurer teutschen Mitbürger den Rhein oder die Elbe hinabgleiten gesehen? Denket doch an die Tausende, sie alle ziehen nach Amerika, in die Republik, und keiner wurde für unfähig zurückgeschickt. Im Gegenteil unsere teutschen Landsleute haben noch immer das beste republikanische Lob davon getragen.

Gleichheit und Republik

Auf Erden sind wir alle gleich! Mitbürger, lasset Euch nicht täuschen! Solange die Fürsten ihren Kronen nicht entsagen, kann kein Friede, keine Ruhe zwischen uns und ihnen sein. Sie wollen herrschen, wir wollen frei sein; sie wollen Fürsten, und wir keine Unterthanen sein! Wir wollen die Republik!

Mitbürger, nicht nur Euer Wille und Eure Ehre fordern die Republik, auch Eure knappen häuslichen Mittel gebieten dieselbe. Die Abgaben, die bis anhin auf Euch gelastet haben, waren vielen von Euch unerschwinglich, andere waren nicht im Stande, einen Schritt vorwärts zu thun, während die Zahl der Familienglieder wuchs. Ich habe Männer unter Euch kennen gelernt, die von ihren Eltern, außer einer Hütte noch ein ordentliches Stück Acker ererbt hatten. Es waren fleißige, mäßige und verständige Bauern, die gut wirthschafteten und genau rechneten; leider aber herausbrachten, daß sie bei der Größe der öffentlichen Lasten auch nichts, gar nichts erübrigen könnten, sich vielmehr auf jede Weise anstrengen und aufpassen mußten, um nicht das zu verlieren, was sie noch besaßen. „Was soll, fragten sie sich mit kummervoller Seele, aus unseren Kindern werden, wenn einmal das väterliche Gut in zwei, drei, vier oder mehr Theile zerfällt?“ Der Abschied vom heimischen Boden thut weh. Es blieb ihnen aber keine Wahl. Wollten sie ihre Familien retten, mußten sie das Vaterland opfern. So verkauften sie die elterliche Hütte und zogen in ein Land, wo dem Fleiße noch Erwerb möglich ist. Sie wanderten nach Amerika und wurden Republikaner, und schauen nun nicht mehr mit ängstlichen Blicke in die Zukunft ihrer Theueren.

Warnung vor der Paulskirche

Mitbürger, Ihr habt vor allen Dingen auch Erleichterung Eurer Lasten gehofft und gefordert. Die constitutionellen Staatsfasler aber in Frankfurt schieben den Wagen tagtäglich weiter in den Sumpf. Sie haben noch keine einzige Abgabe abgeschafft, noch keine einzige Last von Euren Schultern genommen: die Fürsten bleiben, die Höfe bleiben, die Soldaten bleiben, die Mauthen bleiben, Alles bleibt. Dagegen haben sich zu den 34 Staaten und Städtchen unseres Vaterlandes für jedes zwei Ständekammern dekretiert, macht 68, und außerdem zwei Reichskammern und einen kostbaren Kaiser. Das Alles will bezahlt sein, und Ihr, Ihr müßt es bezahlen. Der Kaiser allein kommt Euch jährlich auf 12 bis 20 Millionen zu stehen.

Nicht genug! Durch die politische Bewegung unseres Vaterlandes und unseres Erdtheiles, die nothwendig ist und durchgemacht werden muß, wenn es besser werden soll, liegen Handel und Wandel darnieder, Arbeit, Geld und Kredit fehlen. Mitbürger, täuscht Euch nicht und erwartet unter vorliegenden Umständen kein schnelles Ende dieser Dinge. Die Männer, die mit und ohne Auftrag nach Frankfurt gegangen sind, und der Zopf, den sie dort zurück gelassen, das sind die Leute nicht, die Eure Zustände verbessern können. Es sind zu viel Minister, Hofräthe, Professoren, überhaupt Leute darunter, welche in fürstlichem Futter liegen. Die haben ein anderes Interesse als Ihr; denen liegt alles an der bequemen fürstlichen Krippe, aus der sie gefüttert werden. Statt die fürstlichen Throne völlig zusammen zu brechen, flicken sie mühselig an denselben herum. das Geld, das Euch diese Herren kosten, gebt Ihr umsonst aus; die Zeit, die sie verlieren, richtet den Rest Eures Wohlstandes zu Grunde; und das, was sie schaffen, könnt Ihr nicht brauchen. Ruft sie nach Hause, und schickt Bauern, Handwerker, Gewerbsleute, die wissen, was Euch noth thut, und ihr werdet die Republik bald haben.

Ein reiches Land wird aus geplündert

Werfet einen Blick auf unser liebes Vaterland! Es ist ein von Natur reich gesegnetes Land. Prachtvolle Wälder bedecken die Höhen, sein Eingeweide birgt alle Metalle, große Flüsse durchströmen seine Thäler, schöne Straßen und Eisenbahnen durchschneiden seine Flächen, reiche Saaten wallen in seinen Ebenen, seine Hügel tragen den köstlichsten Wein, und sein Bewohner sind ein fleißiges, mäßiges Volk. Wo aber ist der Reichthum, wo der Überfluß, den man erwarten dürfte? Um nicht von den Höfen, dem Beamtenheer, der Verschwendung usw. zu reden, die Ihr alle kennt, will ich nur zwei Dinge vorheben: Jahr aus Jahr ein legt man eine halbe Million der schönsten, kräftigsten, arbeitsfähigsten Männer in Kasernen, macht sie zu Konsumenten statt zu Produzenten. Sie essen, aber sie arbeiten nichts; sie verbrauchen, aber sie erwerben nichts. Das Land, das sie ernähren muß, entbehrt ihrer Mithülfe, ihrer Mitarbeit. Würden diese 500.000 Mann, statt zu faulenzen, zu einer organisierten Arbeit geführt, und würde jeder, außer dem Gewinn seines Lebensunterhaltes, das Jahr hindurch nur zwei Kleidungen produzieren, so würdet Ihr ungeheuere Summen an Militärkosten ersparen.

Andere Hunderttausende sind rings um Eure Grenzen gestellt. Sie arbeiten nichts, aber essen; sie schaffen nichts, aber verbrauchen; sie verdienen nichts, aber werden gut bezahlt. Sie sind dafür da, Euch die Dinge, die Ihr aus der Ferne bedürfet, zu vertheuern. Habt Ihr ein Pfund Kaffee im Auslande gekauft, und wollt es in das Inland bringen, müßt ihr dem Bärenhüter an der Grenze den Werth noch einmal erlegen. Wäre die Mauth nicht, so würdet Ihr erstens Eure Bedürfnisse aus dem Auslande billiger kaufen, zweitens müßtet Ihr nicht einige hunderttausend unnütze Grenzjäger und Mauthbeamten unterhalten; drittens würden diese Hunderttausende produzieren statt consumieren, und so den Reichthum des Landes mehren statt die Früchte Eures Fleißes verzehren; und viertens würden Eure Grenzbewohner nicht durch den Schmuggel und das, was daran hängt, moralisch zu Grunde gerichtet. Man hat Euch gesagt, daß durch die Mauth das Geld im Land bleibe. Ist auch Schein und Trug: denn erstens was Ihr braucht, müßt Ihr doch kaufen, nur theurer; zweitens könnt Ihr nicht mehr kaufen als Ihr Geld habt, und drittens, wenn Ihr dem Ausländer seine Produkte nicht abkauft, kann er Euch die Eurigen nicht abkaufen. Zweck des Handels ist, daß Einer vom Andern bezieht, was er nöthig hat; Bestimmung des Geldes ist aus einer Hand in die andere zu gehen, hin und her zu wandern. Ein Beispiel, man wollte das Geld im Lande behalten, und legte einen hohen Zoll auf den Auslands-Zucker, und baute und fabrizierte im Inlande Runkelrübenzucker. Die Folge davon war, daß man seinen Zucker viel theurer zahlen mußte, weil man ihn im Inlande bei weitem nicht so billig fabrizieren, als aus dem Auslande beziehen konnte; außerdem war der inländische Zucker schlechter als der fremde.

Metternich ist fort, seine Politik nicht! Sie lebt noch in Österreich, lebt noch in Preußen, lebt noch bei dem Fünfzigerausschuß in Frankfurt. Zur Freiheit Polens reicht niemand die Hand, und unsere nördliche Ostgrenze ist und bleibt durch den Russen geschlossen, Handel und Verkehr sind und bleiben gebannt. Österreich will keine Freiheit, will nicht teutsch sein; es will nur seine Dynastie, seine teutschen, slawischen und romanischen Unterthanen, nur das alte Joch unter dem Erzherzoglichen Hute. Daher Auflehnung, Aufstand, Aufruhr und Verwicklungen an allen Ecken und Enden, und es selbst hetzt nach Möglichkeit seine Stände und Nationen hintereinander: Teutsche, Tschechen, Polen, Magyaren, Slawen, Italiener, alles bekämpft sich bunt untereinander, und des Liedes Ende ist Haß gegen Teutschland und Schluß unserer südlichen Ostgrenze. Dem lange unterdrückten, nach Freiheit ringenden Italien setzt Österreich den Mordstrahl an die Brust. Siegen die Italiener, wird unsere Südgrenze geschlossen; unterliegt Italien, tritt Frankreich auf dem Kampfplatz, und unsere Südgrenze bleibt geschlossen. Statt die Völker, deren Sympathie wir bedürfen, zu Freundschaft einzuladen; stand den freiheitsmordenden Kampf in Italien zu mißbilligen, zu verbieten: billigt und sanktioniert ihn der Fünfzigerausschuß in Frankfurt, diese Quintessenz politischer Dummheit, und ruft sogar die Tyroler zu freiwilligem Kampfe! So führt nicht nur Österreich und Preußen, so führt auch der einfältige Michel in Frankfurt unsere Brüder zum Morde der Freiheit, und beleidigt und reizt das republikanische Frankreich, dadurch und durch seine Truppenhäufungen an der französischen Grenze. Frankreich braucht nicht einmal einen Krieg, um uns zu verderben; es genügt, wenn es uns auch die letzte westliche Grenze schließt, denn im Norden sind die Dänen Meister, da uns unsere Fürsten ohne Flotte gelassen, und das Geld für Theater, Paraden, Maitressen, Wallhallen gebraucht haben.

Lehren der Vergangenheit

Mitbürger! Es bleibt Euch nur ein Mittel der Erlösung, das Mittel heißt Republik! Auf reicht den Völkern, den Franzosen die Hand, den Italienern die Hand, den Ungarn die Hand, den Polen die Hand! Auf! Erklärt den Fürsten den Krieg, den Völkern Friede und Bruderliebe!

Als der Hahn der Freiheit zum ersten Male krähte, nicht zufrieden damit, im eigenen Lande Sklaven zu haben, haben Eure Fürsten auch im Auslande der jungen Freiheit die Kehle zuschnüren wollen. Sie verschworen sich mit dem französischen Adel, dem dümmsten, frechsten, sittenlosesten, den es je gegeben. Prahlhalsige Proklamationen wurden nach Frankreich geschleudert: „Kein Stein sollte auf dem anderen bleiben“, so lautet es. Aber der Krieg fuhr zermalmend auf das Haupt derjenigen, die ihn gerufen. Kein Schade um sie, sofern es nicht wäre, wie das Sprichwort sagt: „Wenn die Könige sich raufen, müssen die Bauern die Haare dazu hergeben!“ So litt das teutsche Volk, was seine Fürsten verschuldet hatten. Was aber geschah. An die Stelle fürstlicher Großsprecherei trat Kleinmuth, Kriecherei und Verrath. Einer verrieth den anderen, und alle zusammen ihre Völker und das teutsche Reich, und stürzten das Vaterland in namenloses Elend. Mehr als zwanzig Jahre wühlte der Krieg auf unseren Fluren, der Name Teutschland war aus der Geschichte gestrichen, teutsche Fürsten fochten gegen teutsche Fürsten und sandten ihre Heere zum Abschlachten in alle Länder, wohin der französische Despot sie schickte. Ich habe nicht nöthig, Euch die Schrecken zu malen, welche die Eisfelder Rußlands gesehn. Da riefen endlich die, welche den Krieg zur Vernichtung der Freiheit begonnen, unter der Verheißung von Freiheit, den teutschen Michel zum Kampfe. Die Felder von Lützen, Bautzen, Großbeeren, an der Katzbach, von Dresden, Dennewitz, Göhrde, Wartenburg, Leipzig, Hanau, Brienne, Lapen, Thuin, Ligny, Quatrebras, Waterloo haben den Michel bluten gesehen, aber der Michel hat die Freiheit nicht gesehn. Michel stellte den Fürsten die Throne wieder fest; den Lohn hat der Michel noch nicht dafür. Damals schrieb man 1813, heute schreibt man 1848.

Ja, Mitbürger! Was Euch Eure Fürsten versprochen, das sind sie Euch heute noch alles schuldig. Wehe demjenigen, der es wagte, sie an ihre Verheißungen zu erinnern. Die Männer, welche am meisten gearbeitet, am wackersten gekämpft hatten, nach wenigen Jahren waren sie landesflüchtig. Verbannung, Kerker, Blutgerüste waren die Münze, mit der die teutschen Fürsten ihre Schuld abtrugen. Am schlimmsten trieb es Preußen. Die Konstitution, welche einige Fürsten gaben, waren nur ein eitler Schein, ein Blitzableiter gegen den Unmuth des Volkes, ein Kappzaun, an dem man das Volk bequem gängelte. Die Pressefreiheit, welche Euch die Bundesakte garantierte, ist nie ins Leben getreten.

Da krähte der Hahn der Freiheit zum zweiten Male. Karls des 10. Thron krachte zusammen. Erschreckt fuhren die teutschen Fürsten empor, und der Michel, der Michel hoffte. Kurz war der Schimmer. Denn schon hatte Ludwig Philipp, scheuseligen Angedenkens, während er noch mit der pflugradsgroße Cocarde auf dem Hute in den Straßen von Paris herumlief, die Freiheit verrathen und dem Könige von Preußen geschrieben, daß er die Revolution bändigen werde, und die teutschen Fürsten sprachen zu Michel: „Vorher hast Du nichts gekriegt, jetzt kriegst Du gar nichts!“ Die Ständekammern wurden auseinander gejagt, die Mitglieder eingekerkert, wie in Nassau, die Verfassung aufgehoben; wie in Hannover, die Kerker füllen sich mit Gefangenen, das Ausland mit Flüchtlingen.

Michel wach’ auf!

In dem Februar des Jahres 1848 endlich hat der Hahn der Freiheit zum dritten Male gekräht! Der Michel erwachte etwas grob, doch leider nicht grob genug!

Ich will Euch nicht wiederholen, was seit den Tagen des Märzes sich unter Euren Augen zugetragen hat, was Ihr selbst gethan und gelitten habt. Eins steht fest: was Ihr wollt, das kann Euch nur die Republik gewähren! Wenn Ihr aber die Sache wollt, was zögert Ihr mit dem Namen? Wer den Kern der Nuß begehrt, muß die Schale zerbrechen. Laßt Euch nicht beirren von Leuten, die nicht ohne Fürsten leben können und um jeden Preis Unterthanen sein wollen. Eure Ehre, Euer Vortheil, Eure Ruhe und Sicherheit fordern die Republik! Aus: Gau-Algesheim.

Historisches Lesebuch, 1999, S. 74-79