Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

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Historische Kontroversen

Kontroversen, d.h. unterschiedliche Wahrnehmungen, Sichtweisen und Bewertungen, sind das "Salz in der Suppe" bei der Beschäftigung mit Geschichte.

Schon die Alten haben „Geschichte“ immer zugleich als das Geschehene, das eher zufällige Ereignis, und als die farbige und gefärbte Erzählung des Geschehenen verstanden. Heute ist die Skepsis gegenüber der „Wahrheit“ in der Geschichte eher noch gewachsen. Allein dem vielstimmigen Chor der Fachhistoriker, leidenschaftlichen Amateuren und unermüdlichen Geschichtenerzähler mag es gelingen, die Vielfalt und den Zusammenhang der Geschichte nachzuzeichnen und zu vergegenwärtigen.

Was aus der Vergangenheit ans Licht gehoben wird oder in der lebendigen Erinnerung geblieben ist, verfällt deshalb nicht der Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit. Im historischen Material sind Deutungen immer eingeschlossen wie ein Insekt oder ein Blatt im Bernstein. Der geschichtlichen Hinterlassenschaft wohnt das Selbstverständnis der Entstehungs- und Überlieferungszeit inne. Dieses konfrontiert die Geschichtsschreibung mit dem Selbstbewußtsein der eigenen Zeit: Relikte werden zu Reliquien, Fundstücke zu Denkmälern erhoben. Deshalb sind die „Ur-Kunden“ unter den folgenden Texten nicht eindeutiger und wahrhaftiger als die Nach-Erzählungen; beide bedürfen der Interpretation, der Übersetzung und Vermittlung.

Dem traditionellen Bild von der Geschichte als der „Lehrmeisterin des Lebens“ war der große Staatsmann Reichsfreiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757-1831) noch ganz verbunden. Für ihn galt: „Der Einfluss der Geschichte ist wohltätig für ein junges Gemüt, wenn sie gründlich, treu, einfältig studiert wird und man nicht auf der Bahn metaphysischer Schwätzer und politischer Sophisten daher wandelt, sie erhebt uns über das Gemeine der Zeitgenossen und macht uns bekannt mit dem, was die edelsten und größten Menschen geleistet und was Trägheit, Sinnlichkeit, Gemeinheit oder verkehrte Anwendung großer Kräfte zerstört.“ Spätere Erfahrungen scheinen eher den Satz zu belegen: „Die Geschichte lehrt, dass die Menschheit aus der Geschichte nichts lernt.“ So oder so haben Geschichte und Geschichten nicht aufgehört, Menschen in ihren Bann zu ziehen.

Norbert Diehl