Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Gau-Algesheim und die Rheingauer Empörung von 1525

Für eine kurze Zeit zieht der Aufstand des Rheingaus das am Rande der Landschaft gelegene linksrheinische Gau-Algesheim in die gesellschaftlichen und ideologischen Umwälzungen hinein, ohne dass die nur wenige Monate währende Episode dauerhaft Spuren hinterlässt. Gau-Algesheim und seine Menschen bleiben im Verband des Kurfürstentums Mainz, die Trennung vom Rheingau und der wachsende Einfluss des Territorialherrn und seiner Beamten ersticken Ansätze zum Aufbau eines "demokratischen Gemeinwesens".

 

Gau-Algesheim war möglicherweise seit dem 10. Jh., sicher aber seit dem 12. Jh., wie die Johannisberger Ministerialen-versammlung von 1130 belegt, mit der rechten Rheinseite verbunden. Die Zugehörigkeit des Ortes zur „Landschaft“ des Rheingaus spiegelte sich in der Gemeinde- und Gerichts-verfassung sowie in den wirtschaftlichen Beziehungen wider.

1332 erhielt Gau-Algesheim zusammen mit Eltville das Frankfurter Stadtrecht, als Erzbischof Balduin zum Ausbau des Territoriums und der Verwaltung das Städtewesen auf der Grundlage kaiserlicher Sammelprivilegien entwickelte.

Mit der Gemeindeordnung vom 15. Juli 1417 versuchten der Kurfürst und seine Amtsleute Schritt für Schritt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die städtischen Selbstverwaltungsrechte einzuschränken, bis im Absolutismus der Höhepunkt der landesherrlichen Dominanz erreicht war.

Gegen diesen Trend hatte sich seit 1420 der Rheingau bei jeder Huldigung anlässlich der Amtseinsetzung eines Erzbischofs die Zugehörigkeit Algesheims zur Landschaft bekräftigen lassen. Erzbischof Diether von Mainz bestätigt am 14. Juli 1459 dem Rheingau "oben und unten von Walluf bis Lorschhausen" seine alten Rechte, Freiheiten, Gnaden, Herkommen und Gewohnheiten und fügt hinzu, dass die von Bingen und Algesheim seit Alters her zu seinem Land Rheingau gehören.

1505 bestätigte der Mainzer Erzbischof Jakob von Liebenstein letztmalig die Zusammengehörigkeit mit dem Rheingau.

1520 - 1525

Auf Empfehlung von Erasmus und Ulrich von Hutten wird Wolfgang Capito (Wolfgang Fabricius Köpfle) 1520 als Prädikant an den Mainzer Dom berufen. Als Berater des Erzbischofs Albrecht von Mainz will Capito mäßigend in den sich anbahnenden Streit zwischen den Konfessionen einzuwirken und als kurfürstlicher Kanzler, einen Ausgleich mit Luther zu erreichen. 1521 begleitet er Albrecht auf den Reichstag zu Worms und spricht sich für Luther aus. Seine Vermittlertätigkeit löst jedoch Irritationen aus, die er im März 1522 bei einem Besuch Luthers in Wittenberg auszuräumen versucht. Seine Rolle als verdeckter Anhänger der lutherischen Bewegung lässt sein Leben in der altgläubigen Hochburg Mainz gefährlich werden, sodass Capito sich 1523 nach Straßburg zurückzieht.

Die im evangelischen Sinne predigenden Wolfgang Capito und Kaspar Hedio ermuntern „das christliche Häuflein im Rheingau“ durch Wort und Schrift zum Kampf gegen die Tyrannei und Räuberei der Obrigkeit. Zu diesen Predigern, die für die sozialen und politischen Forderungen der Bürger und Bauern die theologischen Stichworte lieferten, gehörte auch der Gau-Algesheimer Pfarrer Johannes Bernardi.

Bernhardi war zunächst Priester an Liebfrauen und St. Quintin in Mainz und wurde um 1523 Pfarrer in Algesheim. Wegen seiner Predigten im Geist der Reformation geriet er in Konflikt mit dem Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg, der ab Herbst 1523 die reformierten Prediger in seiner Diözese verfolgen ließ. Er wurde verhaftet und auf der Mühlpforte, einem Tor der Mainzer Stadtbefestigung, arretiert.

1525, 25. April

Am Markustag 1525 wird Johannes Bernhardi von Mainzer Bürgern aus seiner Haft befreit.

1525, 26. April

Der Aufstand beginnt am St. Georgstag in Eltville, dann geht der "gemeine Schrei" durch die Landschaft, die sich auf dem "Wacholder", der traditionellen Gerichtsstätte auf halbem Weg zwischen dem Rhein und dem Kloster Eberbach, versammelt. Dort hat schon im Sommer 1523 der Mainzer Domprediger Kaspar Hedio die neue Lehre verkündigt.

1525, 2. Mai

Einwohner von Winkel ziehen als erste bewaffnet „ohne Bescheid der Obrigkeit und Räte des Landes“ auf den Wacholder oberhalb von Erbach. In den folgenden Tagen kommen auch die anderen Gemeinden des Rheingaus sowie die Orte Flörsheim und Hochheim am Main dorthin.

1525, 19. Mai

Der Statthalter des Erzbischofs, Bischof Wilhelm von Straßburg, und das Mainzer Domkapitel bewilligen die 31 „Artickel der beschwerung gemeyner lantschaft des Ringgaws“. Die Mehrzahl der Versammelten zog daraufhin in ihre Gemeinden zurück.

1525, 23. Mai

Vor dem Statthalter des Mainzer Kurfürsten im Schloss zu Eltville schließen die Ämter des Rheingaus („Wir Edel und Bürger gemeiner Landschaft im Rheingau, Eltfeld, Oestrich, Algesheim, Rüdesheim und Lorch“) einen Vertrag, jeden Flecken zu besichtigen, um die alten Klagen der Ämter Algesheim und Lorch über Ungleichheit der Lastenverteilung zu beheben und sich in gleiche, brüderliche Form zu stellen.

Im Hochgefühl, einen Sieg gegen den Landesherrn und das Mainzer Domkapitel errungen zu haben, geht die Versammlung auf der Wacholderheide zu Ende. Die Zeche müssen die Mönche des Klosters Eberbach bezahlen: „Zu Ehren Gottes und der evangelischen Freiheit“, so ein mit den Aufständischen sympathisierender Autor des 19. Jahrhunderts, verzehren die Rheingauer 600 Scheffel Mehl und Getreide, fast alle Ochsen, Kühe, Schafe, Hühner, Tauben und Kälber sowie das geräucherte Fleisch und die Käsevorräte des Klosters. Das Große Fass im Keller wird „bis auf die Nagelprobe“ geleert. Die durstige Rotte hat fast 300 Ohm Wein, das sind etwa 45.000 Liter, getrunken.

1525, 4. Juni

Am ersten Pfingsttag predigt Johannes Bernhardi erstmals in der Frankfurter Leonhardskirche, während Dionysius Melander im Dom und für die Altgläubigen Pfarrer Michael Groß in der Peterskirche sprechen.

1525, 11. Juni

Georg Truchsess von Waldburg („Bauernjörg“), der Oberste Feldhauptmann des Schwäbischen Bundes, fordert die Rheingauer auf, sich „in gnade und ongnade des bundts (zu) begeben“

1525, 13. Juni

Um nach dem Scheitern des Aufstandes der Frankfurter Zünfte die innere Situation in der Stadt wieder zu stabilisieren, wird auf Beschluss des Rates der Stadt Frankfurt Johannes Bernhardi fest angestellter lutherischer Prädikant in Frankfurt am Main. Zusammen mit Dionysius Melander betreibt er die Durchsetzung der Reformation, weiß, „kühn, schroff und populär“ zu predigen und erhält nach seiner früheren Wirkungsstätte den Beinamen „der Algesheimer“.

Die beiden protestantischen Prediger, die sich im Abendmahlsstreit dem schweizerisch-oberdeutschen Bekenntnis nach Zwingli anschließen, tragen durch ihre undiplomatische Heftigkeit künftig dazu bei, dass sich die Fronten in den Frankfurter Religionsstreitigkeiten , z. B. im Abendmahlstreit weiter verhärten.

Dennoch macht die Stadtregierung auch nach Beendigung der Unruhen und dem Sieg der politischen Restauration die Anstellung von Bernhardi und Melander nicht rückgängig. Dagegen verlässt der evangelische Theologe Johannes Agricola, den Luther auf Bitten des Rats zur Neuordnung des Kirchenwesens 1525 nach Frankfurt gesandt hatte, die Stadt nach einem Monat unverrichteter Dinge wieder. Mit der Einstellung der beiden evangelischen Prädikanten ist die Hauptforderung der aufständischen Bürgerschaft zumindest eingeschränkt erfüllt und „die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich neben und in Konkurrenz zur alten Kirche in kleinen Schritten ein evangelisches Kirchenwesen in Frankfurt entwickeln kann.

1525, 25. Juni

Erklärung der Rheingauer Gesandten gegenüber Vertreters des erzbischöflichen Statthalters: Algesheim will sich zusammen mit Lorch, Assmannshausen, Rüdesheim, Eibingen, Geisenheim, Winkel, Eltville, Kiedrich und Hattenheim ergeben. Andere Gemeinden zögern noch.

1525, 26. Juni

Vollmacht von Algesheim zu den Unterwerfungsverhand-lungen des Rheingaus: "Uff montagk nach Johannis baptiste" bevollmächtigen der Unterschultheis, das Gericht, der Rat und die ganze Gemeinde die "ersamen unßern mittborgern Hans Rumpellheymern, Peter Dyeczen und Peter Boeßenheimern" sich an den Unterwerfungsverhandlungen zu beteiligen, "das sie in aller sachen betreffen die uffrore gemeyner lantschafft deß Ryngkawes von unßer wegen und in unßerm namen thun, hondelen und laißen sollen."

1525, 27. Juni

Schriftliche Erklärung der Schultheiße, Bürgermeister, Räte und Einwohner des Rheingaus über ihre Unterwerfung; sie bekennen ihre Verfehlungen bekennen und unterwerfen sich den Forderungen der Sieger. Die Bewohner der insgesamt 3.018 Herdstätten im Rheingau, davon 172 in Algesheim, mussten 15.000 Gulden Kriegskosten in zwei Raten zahlen. Dafür wurden von den einzelnen Ämtern „gysell und burgen“ gestellt, von Algesheim Heinchen von Schwabenheim.

1525, 16. Juli

Bericht von Algesheim über die Aufforderung der „uff dem Wecholder“ Versammelten zur Teilnahme an der Empörung des Rheingaus sowie Anzeige der Motive und Vorgehensweise der Algesheimer; sie versuchen, ihre Beteiligung am Aufstand herunter zu spielen: Sie seien erst auf Aufforderung der anderen Gemeinden zum Wacholder gezogen, auf dem schließlich ja auch der Statthalter des Kurfürsten und der Domdechant mit den Vertretern der Landschaft verhandelten.

Die Mainzer Kanzlei erlässt in Algesheim "sontags nach Margarethe" einen "Abschied uff die artickel, so die lantschafft des Ringaws mynem g. h. stadthalter zu Eltuil" zu den Unterwerfungsbedingungen übergeben hat.

1527, 1. Januar

Erzbischof Kardinal Albrecht von Brandenburg erlässt eine neue Landesordnung. Er trennt Gau-Algesheim, "unser stadt", und die "underthan zu Algeßheym" vom Rheingau ab und verspricht, eine "sonder ordenung uffrichten" zu lassen.

1529, 31. August

Im Rahmen einer Eingabe des Rheingaus an den Erzbischof beklagen sich "die von Algeßheim" über die in der Landesver-ordnung von 1527 vorgenommenen Abtrennung vom Rheingau. Der Erzbischof will die Sache "weither erkhunden" und Maßnahmen treffen, "die allenthalben leidlich und treglich sein sollen."

1560

In einem Vertrag "zwuschen dem land des Ringgaues und denen vonn Algeßheym des zu zeit uberfrornen Rheinß beholtzens halben" taucht erstmals der Name "Gaue Algeßheym" auf.