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Paris 1793: Johann Jakob Hauer und Charlotte Corday

Jean Jacques HAUER: Tod des Marat (Ölgemälde, 1794)

Einer der großen und zugleich populären Historiker Frankreichs im 19. Jh. Jules Michelet (1798-1874) schildert in seiner siebenbändigen Geschichte der Französischen Revolution, die in den Jahren 1847-1853 erschien, die Begegnung zwischen dem aus Gau-Algesheim gebürtigen Maler Johann Jakob Hauer (1751-1829) und der Mörderin von Jean Paul Marat, Charlotte Corday. Wir führen durch eine Einleitung und verbindende Passagen zum Text des Geschichtsschreibers hin.

Im Sommer des Jahres 1793, der dem revolutionären Frankreich neben außenpolitischen Niederlagen, wie der Rückeroberung von Mainz (23.7.) durch preußische Truppen, Aufstände im Innern (Vendée, Normandie, Bordeaux, Lyon) und einen von der radikaleren Bergpartei geführten Konvent brachte, entschloss sich Marie Charlotte Corday d'Armont (1768-1793), „eine junge schöne Person, Republikanerin aus einer verarmten adligen Familie, die mit ihrer Tante in Caen lebte“ (Michelet, IV, 221), den Präsidenten des Jakobinerclubs Jean Paul Marat ( 1743-1793) zu ermorden.

Jules Michelet beschreibt in seinem großen Werk über die Französische Revolution Charlotte Corday so: „In dem einzigen Bilde, das von ihr vorhanden ist und das man kurz vor ihrem Tode gemacht hat, spürt man die außerordentliche Sanftheit. Nichts paßt weniger zu der blutigen Erinnerung, die ihr Name wachruft. Sie hat die Gestalt einer jungen normannischen Dame: eine jungfräuliche Gestalt, zart und frisch wie ein blühender Apfelbaum. Sie erscheint viel jünger als ihre fünfundzwanzig Jahre. Sie hat aschblondes, mildglänzendes Haar und trägt eine weiße Haube und ein weißes Kleid.“ (IV, 222)

Marat, so Michelet, „trieb gegen seinen Willen, durch die unwiderstehliche Gewalt seiner Lage, der Klippe zu, an der die revolutionären Generationen eine nach der anderen zerschellten. Er kam in das verhängnisvolle Alter der Nachsicht und der Mäßigung; er wurde menschlich. Entfernte er sich von seiner Natur oder kehrte er zu ihr zurück? Er hatte zu allen Zeiten merkwürdige Anfälle von Menschlichkeit gehabt. Er war in manchen Augenblicken hochherzig und empfindsam. Es ist eine Frage für sich, ob er in seiner neuen Rolle als Freund der Mäßigung und Schiedsmann seine Volkstümlichkeit bewahrt hätte.“ (IV, 220)

Als Charlotte von Caen nach Paris aufbrach, hatte sie mit dem Leben abgeschlossen: „Sie verschenkte ihre Bücher, mit Ausnahme eines Bandes Plutarch, den sie mit sich nahm. Auf dem Hof begegnete sie dem Kinde eines im Hause wohnenden Arbeiters; sie schenkte ihm ihre Zeichenmappe, gab ihm einen Kuß und ließ noch eine Träne auf seine Wange fallen. Zwei Tränen! Damit hatte sie der Natur genug. Charlotte Corday glaubte, nicht aus dem Leben scheiden zu sollen, bevor sie ihren Vater noch einmal gesehen hatte. Sie besuchte ihn in Argentan und empfing seinen Segen. Von da reiste sie mit einem öffentlichen Fuhrwerk nach Paris.

Im Palais-Royal, diesem sonnigen, von einer fröhlichen Menge belebten Garten, unter den Augen der Kinder, suchte und fand sie einen Messerhändler und kaufte für vierzig Sous ein frisch geschliffenes Messer mit Ebenholzgriff, das sie in ihrem Brusttuch verbarg. Nun war sie im Besitz ihrer Waffe; wie würde sie sie gebrauchen? Sie wollte der Vollstreckung des Urteils, das sie über Marat gefällt hatte, eine große Feierlichkeit verleihen. Sie wollte Marat auf dem Marsfeld niederstoßen, vor allem Volke, im Angesichts des Himmels; bei der Feier des 14. Juli, am Jahrestage des Untergangs des Königtums, wollte sie diesen König der Anarchie bestrafen. Da das Fest vertragt wurde, so änderte sie ihr Vorhaben, um Marat an der Stätte seines Verbrechens zu strafen, an dem Ort, wo er, das Ansehen der Volksversammlung vernichtend, dem Konvent die Abstimmung diktiert und die einen zum Leben, die anderen zum Tode bestimmt hatte.

Aber Marat war krank, er ging nicht mehr in die Nationalver-sammlung. Sie mußte also in seine Wohnung gehen, ihn am häuslichen Herd aufsuchen und trotz der Wachsamkeit seiner beunruhigten Umgebung einzudringen trachten; sie mußte - eine peinliche Sache - mit ihm in Verbindung treten und ihn täuschen. Und das allein wurde ihr schwer, verursachte ihr Zweifel und Gewissensbisse. Am Abend des 13. Juli ging sie um sieben Uhr von Hause fort, nahm einen Verkehrswagen zur Place des Victoires, fuhr über den Pont Neuf und stieg an der Tür Marats, Rue des Cordeliers 20 (heute Rue de l'Ecole-de-Médicine 18), ab. Es war ein großes, düsteres Haus neben dem mit einem Türmchen versehenen Eckhaus.

Charlotte Corday sah völlig unverdächtig aus; sie trieb keinen Mißbrauch mit ihrer Schönheit, ihr prächtiges Haar hatte sie unter der Haube der Frauen vom Calvados mit einem grünen Bande zusammengerafft. Gegen den Brauch der Zeit war ihr Busen trotz der Julihitze mit einem seidenen Tuche streng verhüllt, das hinten an der Taille solide verknotet war. Sie trug ein weißes Kleid, die Haubenbänder umflatterten ihre Wangen. Übrigens war sie keineswegs blaß, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme war sicher, ohne jedes Zeichen von Erregung.

Da Marat im Bade saß, mit einem schmutzigen Tuche bedeckt war und vor sich ein Brett hatte, auf welchem er schrieb, so waren nur der Kopf, die Schultern und der rechte Arm frei. Seine fettigen Haare, die mit einem Taschentuch oder einem Handtuch umwunden waren, seine gelbe Haut und seine dünnen Glieder, sein großes Froschmaul gaben nur eine schwache Vorstellung davon, daß dieses Wesen ein Mensch war. Charlotte hatte Nachrichten aus der Normandie versprochen, er ersuchte sie darum und fragte besonders nach den Namen der nach Caen geflohenen Abgeordneten; sie nannte diese, und er schrieb sie entsprechend auf. Als er zu Ende war, sagte er: ‘Es ist gut! In acht Tagen kommen sie auf die Guillotine.’

Charlotte, der diese Worte Kraft verliehen und ein Recht zuzustoßen, zog das Messer aus ihrem Busen und trieb es bis ans Heft in Marats Herz.“ (IV, 225-229)

Charlotte Corday wird in die nahe Abbaye gebracht, in der Nacht von Mitgliedern des Sicherheitsausschusses verhört und nach einigen Tagen in die Conciergerie verlegt. Die Verhandlung vor einem Geschworenengericht dauert nur eine halbe Stunde; ihr Anwalt setzt sich mutig für sie ein, der Gerichtspräsident hätte sie gern gerettet. Nach dem Urteilsspruch verließ sie den Saal und stieg über die dunkle Treppe zu den darunterliegenden Verließen hinab.

„Sie hatte während der Verhandlung einen Maler bemerkt, der ihre Züge festzuhalten suchte und sie mit lebhaftem Interesse betrachtete. Sie hatte sich ihm zugewandt. Nach der Urteilsverkündung ließ sie ihn rufen und schenkte ihm die letzten Augenblicke, die ihr vor der Hinrichtung blieben. Der Maler, Hauer, war Vizekommandant des Bataillons der Cordeliers. Diesem Titel vielleicht verdankte er die Vergünstigung, daß man ihn ohne einen anderen Zeugen als einen Gendarmen bei ihr ließ. Sie plauderte völlig ruhig mit ihm über belanglose Dinge, doch auch über das Ereignis des Tages und über den Frieden, den sie in sich fühlte. Sie bat Hauer, eine kleine Kopie von dem Bild zu machen und diese ihrer Familie zu schicken.

Wenn ich einem kostbaren Dokument Glauben schenken soll, das von der Familie des Malers aufbewahrt wird, so hat sie sich eigens für ihre Verurteilung eine Haube anfertigen lassen. Das erklärt, warum sie in ihrer so kurzen Gefangenschaft sechsunddreißig Francs ausgab.

Nach anderthalb Stunden klopfte man leise an eine kleine Tür, die hinter ihr war. Man öffnete, und der Henker trat ein. Charlotte wandte sich um und sah die Schere und das rote Hemd, das er trug. Sie konnte sich einer leichten Erregung nicht erwehren und sagte unwirsch: „Was! Schon?!“ Doch sogleich faßte sie sich wieder und wandte sich an Hauer mit den Worten: ‘Mein Herr, ich weiß nicht, wie ich Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit danken soll; ich kann Ihnen nur dies hier anbieten; behalte Sie es als Andenken von mir.’ Gleichzeitig ergriff sie die Schere und schnitt eine Locke von ihren langen, aschblonden Haaren ab, die unter der Haube hervorquollen, und reichte sie dem Maler. Die Gendarmen und der Henker waren bewegt.

In dem Augenblick, als sie den Karren bestieg, als die Menge, von zwei gegensätzlichen Leidenschaften, Wut oder Bewunderung, bewegt, das schöne, liebliche Opfer in seinem roten Mantel aus dem niedrigen Botengang der Conciergerie heraustreten sah, schien sich die Natur mit der Leidenschaft der Menschen zu vermählen, denn ein wütender Sturm brach über Paris los. Er dauerte nur kurze Zeit und schien vor ihr zu fliehen, als sie auf dem Pont Neuf sichtbar wurde und langsam durch die Rue Saint-Honoré fuhr. Die Sonne trat wieder hoch und stark hervor; es war noch nicht sieben Uhr abends am 19. Juli. Die Reflexe des roten Stoffes hoben in eigentümlicher und ganz phantastischer Weise die Wirkung ihrer Gesichtsfarbe und ihrer Augen.

Man versichert, daß Robespierre, Danton und Camille Desmoulins sich auf ihrem Wege aufstellten und sie betrachteten. Ein friedliches, aber um so furchtbareres Bild der revolutionären Rachegöttin, verwirrte sie die Herzen und ließ sie voll Staunen zurück.

Die ernsthaften Beobachter, die ihr bis zu den letzten Augenblicken folgten, Schriftsteller und Ärzte, waren von einem seltsamen Umstand betroffen; auch die Standhaftesten unter den Verurteilten suchten sich durch irgendwelche Anregungen aufrecht zu erhalten, sie sangen patriotische Lieder oder stießen böse Verwünschungen aus gegen ihre Feinde. Sie bewahrte beim Geschrei der Menge eine vollkommene Ruhe, eine feierliche und schlichte Heiterkeit; voll eigenartiger Hoheit kam sie auf den Platze an und wie verklärt in den Strahlen der Abendsonne. Ein Arzt, der sie nicht aus den Augen verlor, erzählt, sie sei ihm bleich erschienen, als sie das Beil bemerkte. Aber die Farbe kehrte ihr wieder, und sie stieg festen Schrittes hinan. Als der Henker ihr das Brusttuch abreißen wollte, empörte sich ihre Schamhaftigkeit, sie kürzte den Vorgang ab und suchte eilig den Tod.

Sogleich als der Kopf fiel, packte ihn ein Zimmermann, ein Anhänger Marats, der dem Henker zur Hand ging, mit roher Faust, zeigte ihn dem Volke und ohrfeigte ihn in schamloser Brutalität. Ein Schauder des Abscheus, ein Murmeln durchlief die Menge. Man meinte, den Kopf erröten zu sehen. Vielleicht war das eine bloße optische Täuschung: die verwirrte Menge hatte die roten Strahlen der Sonne im Auge, die durch die Bäume der Champs-Elysées drangen.

Die Pariser Kommune und der Gerichtshof gewährten dem allgemeinen Gefühl Genugtuung und steckten den Mann ins Gefängnis.

Trotz des Geschreis der Anhänger Marats, deren Zahl ungewöhnlich gering war, war der allgemeine Eindruck an Bewunderung und Mitgefühl sehr stark. Man kann das beurteilen an der Kühnheit, mit der die ‘Chronique des Paris’, trotz der großen Abhängigkeit der Presse, es wagte, fast ohne Vorbehalt ein Lob auf Charlotte Corday zu drucken.

Viele Leute blieben bis ins Herz getroffen und haben sich niemals wieder erholt. Wir sahen die Erregung des Präsidenten, seine Anstrengung, sie zu retten, die Erregung des Anwalts, eines jungen schüchternen Menschen, der diesmal über sich selbst hinauswuchs. Die des Malers war nicht weniger groß. Er stellte in diesem Jahre ein Porträt Marats aus, vielleicht aus Entschuldigung dafür, daß er Charlotte Corday gemalt hatte. Aber sein Name findet sich in keiner Ausstellung mehr. Er scheint seit jedem verhängnisvollen Werke nicht mehr gemalt zu haben.“ (IV, 232-236)

MICHELET, JULES, Geschichte der Französischen Revolution, hrsg. v. Jochen Köhler, 5 Bände, Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 1988, Ausschnitt im: Historischen Lesebuch, 1999, 192-196.