Carl-Brilmayer-Gesellschaft e. V.

Der Bürger - Bourgeois oder Citoyen

Götz Frank, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg (2004)

Der deutsche Bürger war (…) über eine lange Phase in der Geschichte vom Besitzbürgertum her bestimmt. Als Besitzbürger erlangte er seine Privilegien und hob sich ab von den unfreien Ständen. Bürgerlichkeit bedeutete auch einen bewussten Verzicht auf Teilhabe am Staatlichen. Man zog sich auf seine bürgerliche Kultur als Lebensstil zurück und wollte Ruhe vor dem Staat haben. (…)

Der französische Citoyen kennt diese Enthaltsamkeit gegenüber dem staatlichen Sektor nicht. Citoyen, ursprünglich ist dies der stimm- und wahlberechtigte Bürger der Cité, ist seit der Französischen Revolution jeder französische Staatsbürger. (…) Im Begriff Citoyen kommt der Stolz zum Ausdruck, dass man in den bürgerlichen Revolutionen den dritten Stand zum universellen Stand erhoben hatte, der Träger der erkämpften, aber nach dem französischen Verfassungsverständnis von Natur aus gegebenen Freiheitsrechte war.

Diese emphatische Verbindung mit der Freiheit fehlt dem deutschen Bürger, der sich damit begnügt, eine Klasse von Privatleuten zu sein. 

Kurt Tucholsky: Der Bürger (1919)

Der Bürger. - Das ist – wie oft wurde das missverstanden! – eine geistige Klassifizierung, man ist Bürger durch Anlage, nicht durch Geburt und am allerwenigsten durch Beruf. Dieses deutsche Bürgertum ist ganz und gar antidemokratisch, dergleichen gibt es wohl kaum in einem andern Lande, und das ist der Kernpunkt alles Elends. (...) Sie kennen zwischen patriarchalischer Herrschaft und einem ins Räuberhafte entarteten Bolschewismus keine Mitte, denn sie sind unfrei. Sie nehmen alles hin, wenn man sie nur verdienen lässt.

Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (1843/44)

Ja, die deutsche Geschichte schmeichelt sich einer Bewegung, welche ihr kein Volk am historischen Himmel weder vorgemacht hat noch nachmachen wird. Wir haben nämlich die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen. Wir wurden restauriert, erstens, weil andere Völker eine Revolution wagten, und zweitens, weil andere Völker eine Konterrevolution litten, das eine Mal, weil unsere Herren Furcht hatten, und das andere Mal, weil unsere Herren keine Furcht hatten. Wir, unsere Hirten an der Spitze, befanden uns immer nur einmal in der Gesellschaft der Freiheit, am Tag ihrer Beerdigung.